Typologie des Hasses 2.0

Nach der ers­ten gro­ben Un­ter­tei­lung von An­greif­er_in­nen zwi­schen Hatern und Trollen möch­te ich hier ei­ne wei­ter­ge­hen­de Typologie des Hasses vor­schla­gen. Da­bei wer­de ich die Un­ter­schie­de der je­wei­li­gen An­grif­fe deut­lich ma­chen und durch ein Sche­ma struk­tu­rie­ren und vi­sua­li­sie­ren.

Hier geht es direkt nach unten zur Ty­po­lo­gie. Für me­tho­do­lo­gisch In­te­res­sier­te gibt es fol­gend die wis­sen­schaflt­li­che Grund­la­ge der Ty­po­lo­gie­ent­wick­lung:

Me­tho­di­sche Grund­la­ge der Ty­po­lo­gie­ent­wick­lung nach Kelle und Klu­ge

Ob­wohl die Wich­tig­keit von Ty­po­lo­gien in der Em­pi­rie häu­fig be­nannt wird, fin­det sich we­nig Li­te­ra­tur zu de­ren kon­kre­ter Ent­wick­lung. In vie­len Fäl­len wird nicht be­schrie­ben, wie die Mo­del­le, mit de­nen ge­ar­bei­tet wird, ent­stan­den sind, son­dern sie wer­den ein­fach als ge­ge­ben hin­ge­nom­men. Um die­se Lü­cke zu fül­len, hat Su­sann Klu­ge das Stu­fen­mo­dell em­pi­risch be­grün­de­ter Ty­pen­bil­dung be­reits 1999 in ih­rer Dis­ser­ta­tion[1] he­raus­ge­ar­bei­tet und vor­ge­stellt. Spä­ter ent­wickel­te sie das Mo­dell mit Udo Klu­ge wei­ter, wo­bei das Grund­kon­zept der vier Stu­fen gleich ge­blie­ben ist.

Un­ter ei­ner Ty­po­lo­gie ver­ste­hen sie „das Er­geb­nis ei­nes Grup­pie­rungs­pro­zes­ses, bei dem ein Ob­jekt­be­reich an­hand ei­nes oder meh­rer­er Merk­ma­le in Grup­pen bzw. Ty­pen ein­ge­teilt wird“.[2] Nach Kel­le und Klu­ge spie­len Ver­fah­ren des Fall­ver­gleichs, der Fall­kon­tras­tie­rung und der Ty­pen­bil­dung über­all in der qua­li­ta­ti­ven So­zial­for­schung ei­ne be­deut­sa­me Rol­le, un­ab­hän­gig da­von, ob das Ziel eher in der Be­schrei­bung und dem Ver­ste­hen so­zia­ler Pro­zes­se in be­grenz­ten Hand­lungs­fel­dern oder in der For­mu­lie­rung all­ge­mein gül­ti­ger Theo­rien ge­se­hen wird. Ty­pen­bil­den­de Ver­fah­ren sei­en in al­len Na­tur- und Geis­tes­wis­sen­schaf­ten un­ver­zicht­bar, wenn das Ziel em­pi­ri­scher For­schung nicht in ei­nem Test von vo­rab for­mu­lier­ten Aus­sa­gen be­ste­he, son­dern in der Ent­de­ckung, Be­schrei­bung und Sys­te­ma­ti­sie­rung von Beo­bach­tun­gen im Feld.[3]

Das sei der kleins­te me­tho­do­lo­gi­sche Nen­ner qua­li­ta­ti­ver An­sät­ze. Im Ge­gen­satz zu den hy­po­the­sen­prü­fen­den Ver­fah­ren ex­pe­ri­men­tel­ler und quan­ti­ta­ti­ver so­zial­wis­sen­schaft­li­cher For­schung sei es stets ein un­ver­zicht­ba­rer Be­stand­teil qua­li­ta­ti­ver Da­ten­aus­wer­tun­gen, sys­te­ma­tisch Struk­tu­ren in dem im Feld ge­sam­mel­ten, in der Re­gel nur we­nig vor­struk­tu­rier­ten Ma­te­rial zu iden­ti­fi­zie­ren. Ty­pen­bil­den­den Ver­fah­ren kä­men so­wohl des­krip­ti­ve als auch hy­po­the­sen­ge­ne­rie­ren­de Funk­tio­nen zu. Sie wür­den bei der Be­schrei­bung so­zia­ler Rea­li­tät durch Struk­tu­rie­rung und In­for­ma­tions­re­duk­tion hel­fen. Die Ein­tei­lung ei­nes Ge­gen­stand­be­reichs in we­ni­ge Grup­pen oder Ty­pen er­hö­he des­sen Über­sicht­lich­keit, wo­bei so­wohl die Brei­te und Viel­falt des Be­reichs dar­ge­stellt als auch cha­rak­te­ris­ti­sche Zü­ge, eben das „Ty­pi­sche“, von Teil­be­rei­chen her­vor­ge­ho­ben wer­den sol­le.[4] Durch die Bil­dung von Ty­pen und Ty­po­lo­gien kön­ne ei­ne kom­ple­xe so­zia­le Rea­li­tät auf ei­ne be­schränk­te An­zahl von Grup­pen bzw. Be­grif­fen re­du­ziert wer­den, um sie greif­bar und da­mit be­greif­bar zu ma­chen. Kelle und Kluge stel­len he­raus, dass die (vor­ran­gig des­krip­ti­ve) Grup­pie­rung sei­ner Ele­men­te ei­nen Un­ter­su­chungs­be­reich über­schau­ba­rer macht und kom­ple­xe Zu­sam­men­hän­ge ver­ständ­lich und dar­stell­bar wer­den.

Die­se in­halt­li­chen Zu­sam­men­hän­ge könn­ten dann mit Hil­fe all­ge­mei­ner Hy­po­the­sen er­klärt wer­den, so dass Ty­po­lo­gien auch als Heu­ris­ti­ken der Theo­rie­bil­dung dien­ten: In­dem sie die zen­tra­len Ähn­lich­kei­ten und Un­ter­schie­de im Da­ten­ma­te­rial deut­lich machen, re­gten sie die For­mu­lie­rung von Hy­po­thesen über all­ge­mei­ne kau­sa­le Be­zie­hun­gen und Sinn­zu­sam­men­hän­ge an. Ty­po­lo­gien könn­ten also nicht nur die Struk­tu­rie­rung ei­nes Un­ter­su­chungs­be­reichs er­mög­li­chen, son­dern auch die Ge­ne­rie­rung von Hy­po­the­sen und die (Wei­ter-)Ent­wick­lung von Theo­rien in viel­fäl­ti­ger Wei­se un­ter­stüt­zen.[5]

Für die prak­ti­sche Um­set­zung der Er­stel­lung von Ty­po­lo­gien schla­gen Kelle und Kluge fol­gen­des vier-stu­fi­ges Vor­ge­hen vor:

Erstellung von TypologienStufenmodell empirisch begründeter Typenbildung nach Kelle und Kluge (2010), S.92, eigene Darstellung, Lina Thee.

Die ein­zel­nen Stu­fen bau­ten zwar lo­gisch auf­ein­an­der auf – bei­spiels­wei­se könn­ten die Fäl­le den ein­zel­nen Merk­mals­kom­bi­na­tio­nen erst zu­ge­ord­net wer­den, wenn zu­vor der Merk­mals­raum fest­ge­legt wur­de – die Stu­fen könn­ten je­doch auch mehr­fach durch­lau­fen wer­den, was bei­spiels­wei­se auf mehr­di­men­sio­na­le Ty­po­lo­gien zu­tref­fe.

Stufe 1: Er­ar­bei­tung re­le­van­ter Ver­gleichs­di­men­sio­nen

Die Er­ar­bei­tung re­le­van­ter Ver­gleichs­di­men­sio­nen sei der zen­tra­le Schritt bei der Bil­dung von Ty­po­lo­gien. Die­se Ver­gleichs­di­men­sio­nen leg­ten fest, was im Fo­kus der Un­ter­su­chung ste­hen soll, was be­leuch­tet wird. Ein Fall kön­ne durch ei­ne (un­end­li­che) Viel­zahl von Pers­pek­ti­ven ver­gli­chen wer­den, ver­schie­de­ne Pers­pek­ti­ven führ­ten da­bei je­weils zu un­ter­schied­li­chen Grup­pie­run­gen und Ty­po­lo­gien.[6] Zen­tra­ler An­gel­punkt für die Er­stel­lung von Ty­po­lo­gien sei­en dem­nach die Ka­te­go­rien, an­hand de­rer der Ge­gen­stands­be­reich un­ter­sucht wer­den soll. Ver­gleichs­di­men­sio­nen bzw. Ka­te­go­rien er­mög­lich­ten über­haupt erst ei­ne Kon­tras­tie­rung bzw. ei­nen Ver­gleich. Ei­ne For­mu­lie­rung von zen­tra­len Kon­zep­ten vor der em­pi­ri­schen Da­ten­er­he­bung wi­der­spräche laut Kelle und Kluge je­doch, zu­min­dest vor­der­grün­dig, der ex­plo­ra­ti­ven und heu­ris­ti­schen Funk­tion qua­li­ta­ti­ver Me­tho­den – de­ren Stär­ke be­ste­he für vie­le So­zial­for­scher_in­nen gera­de da­rin, dass Re­le­vanz­set­zun­gen der Be­frag­ten nicht von vor­gän­gi­gen For­schungs­hy­po­the­sen über­blen­det wer­den wür­den. Die­se Be­to­nung der heu­ris­ti­schen Funk­tion qua­li­ta­ti­ver For­schung ha­be zu ei­nem „in­duk­ti­vis­ti­schen Selbst­miss­ver­ständ­nis“[7] der qua­li­ta­ti­ven Me­tho­den­leh­re ge­führt. Die­sem Miss­ver­ständ­nis zu­folge emer­gier­ten zen­tra­le Ka­te­go­rien und Kon­zep­te qua­si von selbst aus dem Da­ten­ma­te­rial, wenn die For­schen­den mög­lichst vo­raus­set­zungs­los an ihr em­pi­ri­sches Un­ter­su­chungs­feld he­ran­ge­hen. Die­se Sicht­wei­se be­schrei­ben Kelle und Kluge als „naiv“ und stel­len ein ei­gen­es an Charles San­ders Pierce an­ge­lehn­tes Mo­dell der „Ab­duk­tion“ bzw. der „hy­po­the­ti­schen Schluss­fol­ge­rung“[8] vor. Die­ses Mo­dell re­kons­tru­iere die em­pi­risch be­grün­de­te Ge­ne­rie­rung von Kon­zep­ten und theo­re­ti­schen An­nah­men als ei­nen Pro­zess, bei dem theo­re­tisches Vor­wis­sen mit em­pi­ri­schem Be­trach­tungs­wis­sen so­wohl krea­tiv als auch me­tho­disch kon­trol­liert ver­knüpft wer­den kön­ne.

Ziel der ers­ten Stu­fe sei es dem­nach, Ka­te­go­rien zu fin­den bzw. Ka­te­go­rien in ei­ner sol­chen Wei­se zu di­men­sio­na­li­sie­ren, dass die Fäl­le, die ei­ner Merk­mals­kom­bi­na­tion zu­geord­net wür­den, sich mög­lichst äh­nel­ten und sich da­bei von den an­de­ren Ty­pen mög­lichst gut ab­gren­zen und un­ter­schei­den lie­ßen; es sol­le folg­lich in­ter­ne Ho­mo­ge­ni­tät bei gleich­zei­ti­ger ex­ter­ner He­te­ro­ge­ni­tät vor­lie­gen.[9]

Stu­fe 2: Grup­pie­rung der Fäl­le und Ana­ly­se em­pi­ri­scher Re­gel­mä­ßig­kei­ten

Eben­so wie die Er­ar­bei­tung der Ver­gleichs­di­men­sio­nen kön­ne auch die Fall­aus­wahl de­duk­tiv (qua­li­ta­tiv), in­duk­tiv oder ab­duk­tiv ge­stal­tet wer­den.[10] Bei vie­len quan­ti­ta­ti­ven Stu­dien wür­den die zu un­ter­su­chen­den Fäl­le an­hand von Zu­falls­zie­hun­gen fest­ge­legt, da­mit ei­ne mög­lichst ho­he Re­prä­sen­ta­ti­vi­tät vor­lie­ge. Al­ler­dings könn­ten Zu­falls­zie­hun­gen bei ei­ner qua­li­ta­ti­ven Stu­die mit we­ni­gen Fäl­len schnell zu Ver­zer­run­gen füh­ren, da bei ei­ner klei­nen Fall­zahl sich die ver­zer­ren­den Ef­fek­te nicht auf­hö­ben und ge­ge­ben­en­falls nicht ein­mal auf­fie­len.

Bei ei­ner qua­li­ta­ti­ven Stu­die sei dem­nach ein zen­tra­les Kri­te­rium für die Aus­wahl der un­ter­such­ten Fäl­le nicht de­ren Re­prä­sen­ta­ti­vi­tät, son­dern die theo­re­ti­sche Re­le­vanz des je­weils un­ter­such­ten Falls.[11] An­stel­le der Zu­falls­aus­wahl müs­se des­we­gen ei­ne „be­wuss­te und kri­te­rien­ge­steuer­te Fall­aus­wahl“[12] ein­ge­setzt wer­den. Je nach der Art des Vor­wis­sens böten sich un­ter­schied­li­che Mög­lich­kei­ten an. Kelle und Kluge stel­len fol­gen­de drei We­ge für die Fall­aus­wahl dar: Bei den ers­ten bei­den wer­den zen­tra­le Ver­gleichs­di­men­sio­nen im Pro­zess der em­pi­ri­schen Da­ten­er­he­bung ent­wi­ckelt, beim drit­ten Weg wer­den die Ver­gleichs­di­men­sio­nen be­reits vor der Da­ten­er­he­bung an­hand theo­re­ti­schen Vor­wis­sens fest­ge­legt.

(1.) Vor al­lem Au­tor_in­nen, die sich der „Chi­ca­goer Schu­le“ zu­ge­hö­rig fühl­ten, ent­wi­ckel­ten und ver­brei­te­ten ei­ne Me­tho­de der Fall­aus­wahl, bei der die Su­che nach Ge­gen­bei­spie­len[13] im Mit­tel­punkt ste­he. An­hand von „ent­schei­den­den Fäl­len“ ar­bei­te sich die for­schen­de Per­son zu ei­ner all­ge­mei­nen Theo­rie vor. Theo­rien wür­den bei die­ser Stra­te­gie in Aus­ein­an­der­set­zung mit em­pi­ri­schem Ma­te­rial fort­wäh­rend an­ge­passt und wei­ter­ent­wi­ckelt, bis auch die ge­fun­den­en Ge­gen­bei­spie­le durch die er­ar­bei­te­te Theo­rie er­klärt wer­den könn­ten. Nach der De­fi­ni­tion ei­nes For­schungs­ge­gen­stands wer­de hier ei­ne vor­läu­fi­ge Hy­po­the­se zur Er­klä­rung des Pro­blems for­mu­liert. Wich­tig hier­bei sei, dass die Hy­po­these ei­nen ge­nü­gend ho­hen Grad an Fal­si­fi­zier­bar­keit (al­so gleich­zei­tig ei­nen ho­hen em­pi­ri­schen Ge­halt) be­sä­ße, da­mit sie mit dem Da­ten­ma­te­rial in Kon­flikt ge­ra­ten kann. Da­ran an­schlie­ßend wer­de nach ent­schei­den­den Fäl­len ge­sucht, bei de­nen die Wahr­schein­lich­keit hoch sei, ei­ne Ge­gen­evi­denz zur Aus­gangs­hy­po­the­se zu er­zeu­gen. Wür­den Ge­gen­bei­spie­le ent­deckt, die sich mit der Aus­gangs­hy­po­the­se nicht in Ein­klang brin­gen lie­ßen, müs­se die­se um­for­mu­liert und mo­di­fi­ziert wer­den. Die wei­ter­ent­wi­ckel­te Hy­po­the­se müs­se prä­zi­ser als die vor­her­ge­hen­de und auch wie­der fal­si­fi­zier­bar sein. Opti­ma­ler­wei­se wer­de die­ser Vor­gang wie­der­holt, bis kei­ne Ge­gen­bei­spie­le mehr ge­fun­den wer­den. Ziel die­ser Art der em­pi­ri­schen Un­ter­su­chung von Hy­po­the­sen sei nicht nur ein Be­stä­ti­gen oder Ver­wer­fen, son­dern de­ren em­pi­risch be­grün­de­te Wei­ter­ent­wick­lung. Die „ent­schei­den­den Fäl­le“, die in die Un­ter­su­chung mit ein­flös­sen, rich­ten sich da­nach, ob sie das Po­ten­tial für ei­ne Wei­ter­ent­wick­lung be­sä­ßen oder ei­nen neu­en Blick­win­kel auf das Phä­no­men zu­lie­ßen.

(2.) Bei der ers­ten vor­ge­stell­ten Mög­lich­keit – der Su­che nach Ge­gen­bei­spie­len – gab es be­reits zu Be­ginn theo­re­tisch gut ab­ge­lei­te­te und em­pi­risch ge­halt­vol­le, er­klä­ren­de Hy­po­the­sen. Tref­fe man auf ein noch nicht mit hin­rei­chend Theo­rien be­schrie­be­nes For­schungs­feld, bö­te sich ei­ne an­de­re Me­tho­de der Fall­aus­wahl an: die des theo­re­ti­schen Samp­lings.[14] Bei die­sem of­fen­en und ex­plo­ra­ti­ven Un­ter­su­chungs­de­sign wür­den die Kri­te­rien für die Fall­aus­wahl suk­zes­si­ve wäh­rend der Da­ten­ana­ly­se (nach Maß­ga­be der bis­lang ent­wi­ckel­ten Ka­te­go­rien und Hy­po­the­sen) ent­wi­ckelt. Da­ten­ana­ly­se und Da­ten­er­he­bung gin­gen hier Hand in Hand, er­folg­ten gleich­zei­tig und be­ein­fluss­ten sich ge­gen­sei­tig.

Das be­deu­tet: Zu Be­ginn des For­schungs­pro­zes­ses ge­hen die For­scher_in­nen mit va­gen Aus­gangs­hy­po­the­sen in das em­pi­ri­sche Feld. Die Fäl­le, mit de­ren Un­ter­su­chung man be­gin­ne, soll­ten da­bei nicht auf der Ba­sis ei­nes vor­her for­mu­lier­ten theo­re­ti­schen Rah­men­kon­zepts, son­dern auf der Grund­la­ge ei­ner all­ge­mein so­zio­lo­gi­schen Pers­pek­ti­ve und be­stimm­ter lo­ka­ler Kon­zep­te des un­ter­such­ten Pro­blem­fel­des aus­ge­wählt wer­den. Theo­re­ti­sche Ka­te­go­rien, die auf­grund der ers­ten Fäl­le ent­wi­ckelt wür­den, lei­te­ten dann die Aus­wahl wei­te­rer Fäl­le oder Un­ter­su­chungs­grup­pen an. Die Aus­wahl­kri­te­rien, die die theo­re­ti­sche Re­le­vanz der aus­ge­wähl­ten Ein­hei­ten be­tref­fen, kön­nen per­ma­nent ver­än­dert wer­den, da sie aus den Ka­te­go­rien und Hy­po­the­sen der sich ent­wi­ckeln­den Theo­rie an­ge­lei­tet wer­den. Beim theo­re­ti­schen Samp­ling wer­den Un­ter­su­chungs­ein­hei­ten hin­sicht­lich re­le­van­ter Un­ter­schie­de oder gro­ßer Ähn­lich­kei­ten mit­ein­an­der ver­gli­chen. Be­en­det wer­de der Pro­zess des theo­re­ti­schen Samp­lings, wenn ei­ne „theo­re­ti­sche Sät­ti­gung“[15] er­reicht sei, al­so wenn kei­ne theo­re­tisch re­le­van­ten Ähn­lich­kei­ten und Un­ter­schie­de mehr im Da­ten­ma­te­rial ent­deckt wer­den kön­nen. Wann dies – for­schungs­prak­tisch – er­reicht sei, sei schwie­rig ob­jek­tiv be­gründ­bar.

(3.) Wenn die For­scher_in­nen be­reits vor der Da­ten­er­he­bung über Vor­wis­sen zu re­le­van­ten struk­tu­rel­len Ein­fluss­grö­ßen im un­ter­such­ten Hand­lungs­feld ver­fü­gen, kön­ne ein drit­tes Samp­ling­ver­fah­ren zum Ein­satz kom­men: die Kon­struk­tion qua­li­ta­ti­ver Stich­pro­ben­plä­ne.[16] Die­ses Ver­fah­ren wer­de re­la­tiv häu­fig in der Pra­xis ver­wen­det. Bei dem auch „se­lek­ti­ven Samp­ling“[17] ge­nann­ten Vor­ge­hen wer­den im Ge­gen­satz zum ex­plo­ra­ti­ven Ver­fah­ren beim theo­re­ti­schen Samp­ling vor der Da­ten­er­he­bung Un­ter­su­chungs­si­tua­tio­nen, Zeit­punk­te, Un­ter­su­chungs­or­te und Per­so­nen fest­ge­legt. Hier ge­hen die For­scher_in­nen vor der Da­ten­er­he­bung da­von aus, be­reits fun­dier­te Kennt­nis­se oder Ar­beits­hy­po­the­sen über re­le­van­te Ein­fluss­fak­to­ren im un­ter­such­ten Feld zu be­sit­zen und su­chen die Fäl­le nach die­sen theo­re­ti­schen Vor­an­nah­men aus. Vor der Da­ten­er­he­bung wer­den Fest­le­gun­gen ge­trof­fen über re­le­van­te Merk­ma­le für die Fall­aus­wahl, Merk­mals­aus­prä­gun­gen und die Grö­ße des qua­li­ta­ti­ven Samp­les. Häu­fig spie­len bei der Kon­struk­tion von qua­li­ta­ti­ven Stich­pro­ben­plä­nen klas­si­sche so­zio­lo­gi­sche Merk­ma­le wie Ge­schlecht, Be­ruf, Al­ter, Bil­dungs­ab­schluss oder Mi­lieu ei­ne tra­gen­de Rol­le. Das Ziel ist, durch die Stich­pro­ben­plä­ne mög­lichst al­le we­sent­li­chen so­zial­struk­tu­rel­len Kon­text­be­din­gun­gen, die für das Hand­lungs­feld re­le­vant sind, bei der Aus­wahl von Un­ter­su­chungs­ein­hei­ten zu be­rück­sich­ti­gen.

Stufe 3: Ana­ly­se in­halt­li­cher Sinn­zu­sam­men­hän­ge und Ty­pen­bil­dung

Ver­ste­hen­de Er­klä­rung so­zia­ler Zu­sam­men­hän­ge dür­fe nicht bei der Er­fas­sung em­pi­ri­scher Re­gel­mä­ßig­kei­ten ste­hen blei­ben. Des­we­gen fol­ge der Kon­struk­tion ei­nes Merk­mals­raums im­mer die Su­che nach in­halt­li­chen Sinn­zu­sam­men­hän­gen zwi­schen den Ka­te­go­rien.[18] Die­se Pha­se der Ty­pen­bil­dung, bei der in­halt­li­che Sinn­zu­sam­men­hän­ge zwi­schen Merk­ma­len bzw. Ka­te­go­rien ana­ly­siert wer­den, er­for­der­ten Ver­glei­che und Kon­tras­tie­run­gen von Fäl­len so­wohl in­ner­halb je­der ein­zel­nen Grup­pe als auch zwi­schen al­len kon­stru­ier­ten Grup­pen. Die­se Ver­glei­che könn­ten da­zu füh­ren, dass Fäl­le um­sor­tiert und an­de­ren Grup­pen zu­ge­ord­net wür­den, de­nen sie ähn­li­cher sind. Auch könn­ten stark ab­wei­chen­de Fäl­le zu­nächst aus der Grup­pie­rung he­raus­ge­nom­men und se­pa­rat ana­ly­siert wer­den. Sehr ähn­li­che Grup­pen könn­ten zu­sam­men­ge­fasst oder bei star­ken Un­ter­schie­den wei­te­re er­gänzt wer­den.[19] In der Re­gel wer­de in die­ser Pha­se der Merk­mals­raum re­du­ziert und da­mit die An­zahl der Grup­pen bzw. Merk­mals­kom­bi­na­tio­nen auf we­ni­ge Ty­pen ver­rin­gert. An die­ser Stel­le des For­schungs­pro­zes­ses wür­den oft Ano­ma­lien und über­ra­schen­de Be­fun­de auf­ge­deckt wer­den, al­so so­zia­le Phä­no­me­ne, die sich mit den vor­lie­gen­den Theo­rien nicht er­klä­ren lie­ßen. Wür­den bei der Ana­ly­se in­halt­li­cher Sinn­zu­sam­men­hän­ge – oft­mals durch ab­duk­ti­ve Schluss­fol­ge­run­gen – neue re­le­van­te Merk­ma­le iden­ti­fi­ziert, die da­zu füh­ren, dass der Pro­zess der Ty­pen­bil­dung auf ei­ner hö­he­ren Kom­ple­xi­täts­ebe­ne wei­ter­ge­führt wer­de, müs­se man den Kreis­lauf des Stu­fen­mo­dells (sie­he oben) mit den neu­en Ka­te­go­rien er­neut durch­lau­fen.[20]

Stu­fe 4: Cha­rak­te­ri­sie­rung der ge­bil­de­ten Ty­pen

Der Pro­zess der Ty­pen­bil­dung schlie­ße im­mer mit ei­ner um­fas­sen­den und mög­lichst ge­nau­en Cha­rak­te­ri­sie­rung der ge­bil­de­ten Ty­pen an­hand der re­le­van­ten Ver­gleichs­di­men­sio­nen und Merk­mals­kom­bi­na­tio­nen so­wie der re­le­van­ten kon­stru­ier­ten Sinn­zu­sam­men­hän­ge.[21] Die Cha­rak­te­ri­sie­rung der ge­bil­de­ten Ty­pen wer­de häu­fig als ei­gen­stän­di­ger Aus­wer­tungs­schritt über­se­hen, ob­wohl er für die Be­schrei­bung der Ty­pen und die Zu­ord­nung wei­te­rer Un­ter­su­chungs­ele­men­te von zen­tra­ler Be­deu­tung sei. Auch bei der Ver­ga­be von Kurz­be­zeich­nun­gen für die ge­bil­de­ten Ty­pen müs­se be­son­de­re Sorg­falt ge­übt wer­den, weil es hier schnell zu Ver­kür­zun­gen und Ver­zer­run­gen kom­men kön­ne, die der Kom­ple­xi­tät des un­ter­such­ten Sach­ver­hal­tes nicht ge­recht wür­de.

Da sich die Fäl­le ei­nes Ty­pus nicht in al­len Merk­ma­len glei­chen, son­dern nur äh­nel­ten, stel­le sich das Pro­blem, wie das Ge­mein­sa­me der Ty­pen tref­fend cha­rak­te­ri­siert wer­den kön­ne. Kelle und Kluge stel­len zwei ver­schie­de­ne Vor­ge­hens­wei­sen vor, die ich als „Bil­dung von Ideal­ty­pen“ und „Orien­tie­rung am Durch­schnitt“ zu­sam­men­fas­se. Die Bil­dung von Ideal­ty­pen lehnt an Max We­bers Kon­zept des Ideal­ty­pus an. Hier­bei wer­de ent­we­der aus meh­re­ren pro­to­ty­pi­schen Fäl­len ein ideal­ty­pi­sches Kon­strukt kom­po­niert, oder es wer­de der Typ, der die be­tref­fen­de Grup­pe mög­lichst opti­mal re­prä­sen­tie­re be­schrie­ben, wo­bei ein­zel­ne Cha­rak­te­ris­ti­ka des Ideal­typs zu­ge­spitzt wür­den, um das Ty­pi­sche bes­ser zu ver­deut­li­chen.[22] Die star­ke Zu­spit­zung des Ideal­typs kön­ne je­doch da­zu füh­ren, dass nicht nur die Un­ter­schie­de zwi­schen den ver­schie­den­en Ty­pen, son­dern auch die ein­zel­nen Fäl­le des je­wei­li­gen Typs sehr groß er­schei­nen. Es wür­den eher Un­ter­schie­de als Ge­mein­sam­kei­ten be­tont wer­den. Die­ses Vor­ge­hen sei vor al­lem bei der Kon­fron­ta­tion des Ideal­typs zum Ein­zel­fall sinn­voll, um die Ei­gen­arten des Falls he­raus­zu­ar­bei­ten, aber nicht, um die Grup­pe von Fäl­len zu re­prä­sen­tie­ren. Hier­zu sol­le ein Fall he­raus­ge­sucht und be­schrie­ben wer­den, mit dem die ge­sam­te Grup­pe so zu­tref­fend wie mög­lich cha­rak­te­ri­siert wer­den kön­ne. Da­mit kön­ne auch dem Ein­wand ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den, der ge­bil­de­te Ty­pus hät­te zu we­nig Be­zug zum Ge­gen­stands­be­reich.

Ty­po­lo­gie des Has­ses 2.0

Ei­ne Ty­po­lo­gie ist – wie For­schungs­er­geb­nis­se ge­ne­rell – in ho­hem Ma­ße von den For­scher_in­nen und de­ren Schwer­punkt­set­zung ab­hän­gig. Wür­den ein­hun­dert Wis­sen­schaft­ler_in­nen un­ab­hän­gig von­ein­an­der Ty­po­lo­gien zu ei­nem Un­ter­su­chungs­ge­gen­stand ent­wi­ckeln, könn­ten durch un­ter­schied­li­che Blick­rich­tun­gen der Be­trach­tung ein­hun­dert ver­schie­de­ne Ty­po­lo­gien ent­ste­hen. In die­sem Ab­schnitt stel­le ich mei­ne und so­mit ei­ne mög­li­che Ty­po­lo­gie für An­fein­dun­gen im In­ter­net vor. Im An­schluss da­ran ge­he ich auf die Ver­än­de­run­gen von An­grif­fen ein, die die Ver­brei­tung di­gi­ta­ler Ver­net­zung mit sich ge­bracht hat.

Stufe 1: Er­ar­bei­tung re­le­van­ter Ver­gleichs­di­men­sio­nen

Zu Be­ginn der Er­stell­ung der Ty­po­lo­gie lag der Ge­dan­ke nah, von den drei von Kelle und Klu­ge vor­ge­stell­ten mög­li­chen We­gen für die Ent­wi­cklung von Ver­gleichs­di­men­sio­nen das be­schrie­be­ne Ver­fah­ren der „Kon­struk­tion qua­li­ta­ti­ver Stich­pro­ben­plä­ne“ zu ver­wen­den. Da „Ge­schlecht“ als Ana­ly­se­ka­te­go­rie im Fo­kus der Ar­beit liegt, woll­te ich die­se Di­men­sion un­ter­su­chen, be­zo­gen auf ein wei­te­res so­zial­struk­tu­rel­les Merk­mal. Doch ne­ben der Schwie­rig­keit der Er­fas­sung des Ge­schlechts im In­ter­net, ist die­se Me­tho­de vor al­lem dann sinn­voll, wenn der Un­ter­su­chungs­be­reich schon weit­ge­hend er­forscht ist und be­reits va­li­de Hy­po­the­sen über Zu­sam­men­hän­ge vor­lie­gen.

Da di­gi­ta­le An­grif­fe ein recht neu­es Phä­no­men sind und es bis­her we­nig wis­sen­schaft­li­che For­schung in die­sem Ge­biet gibt, konn­te ich die­ses Ver­fah­ren nicht wäh­len. Glei­ches gilt für den An­satz nach der Chica­goer Schu­le, der „Su­che nach Ge­gen­bei­spie­len“. Für die­ses Ver­fah­ren muss fun­dier­tes Vor­wis­sen vor­han­den sein, mit dem em­pi­risch ge­halt­vol­le Hy­po­the­sen for­mu­liert wer­den kön­nen. Oh­ne ho­hen em­pi­ri­schen Ge­halt las­sen sich Hy­po­the­sen nicht fal­si­fi­zie­ren.

Da­her wäh­le ich, für die Er­ar­bei­tung der Ver­gleichs­di­men­sio­nen die Me­tho­de des „theo­re­ti­schen Samp­lings“. Bei die­sem of­fen­en und ex­plo­ra­ti­ven Ver­fah­ren ge­hen Da­ten­ana­ly­se und Da­ten­er­he­bung Hand in Hand. Das Haupt­aus­wahl­kri­te­rium für die Ver­gleichs­di­men­sio­nen ist die theo­re­ti­sche Re­le­vanz des Un­ter­su­chungs­fel­des. Im Fal­le mei­nes Un­ter­su­chungs­be­reichs se­he ich die „Nä­he zum Op­fer“ und die „un­ter­schied­li­chen An­reiz­sys­te­me“ der Ver­fas­ser_in­nen von An­fein­dun­gen als zen­tra­le Un­ter­su­chungs­ka­te­go­rien, die die Brei­te der An­grif­fe gut dar­stel­len. Bei­de Di­men­sio­nen ska­lie­re ich di­cho­tom, wo­raus sich fol­gen­des Sche­ma ab­lei­ten lässt:

Vergleichsdimensionen für die Typologie Anfeindungen im InternetVergleichsdimensionen für die „Typologie des Hasses 2.0“, eigene Darstellung, Lina Thee.

Es sind vier An­griffs­ty­pen dar­ge­stellt, un­ter­schie­den da­nach, ob das Op­fer dem_r Tä­ter_in be­kannt ist und ob der An­griff aus fi­nan­ziel­lem In­te­res­se statt­fand oder nicht-mo­ne­tär be­dingt ist.

Stu­fe 2: Grup­pie­rung der Fäl­le und Ana­ly­se em­pi­ri­scher Re­gel­mä­ßig­kei­ten

Kelle und Kluge schla­gen zur Grup­pie­rung der Fäl­le und Ana­ly­se em­pi­ri­scher Re­gel­mä­ßig­kei­ten die glei­chen drei Ver­fah­rens­we­ge wie bei der Er­ar­bei­tung re­le­van­ter Ver­gleichs­di­men­sio­nen vor. Durch die glei­che Sach­la­ge bie­tet sich so­mit auch bei die­sem Schritt die Fall­aus­wahl durch „theo­re­ti­sches Samp­ling“ an. Ge­gen ei­ne Zu­falls­aus­wahl spricht, dass bei qua­li­ta­ti­ven Un­ter­su­chun­gen meist mit ge­rin­ger Fall­zahl ge­ar­bei­tet wird und durch ei­ne Zu­falls­zie­hung bei der Fall­aus­wahl leicht Ver­zer­run­gen auf­tau­chen kön­nen. Von da­her ist es hier sinn­voll, die Fall­aus­wahl an­hand von „theo­re­ti­scher Re­le­vanz“ durch „theo­re­ti­sches Samp­ling“ zu voll­zie­hen. In mei­nem Un­ter­su­chungs­feld lie­gen vor al­lem Fäl­le des Typs D (un­be­kannt/ nicht-mo­ne­tär), wie die be­schrie­be­nen Fall­bei­spie­le zei­gen, vor. Diese hier ent­wi­ckel­te Ty­po­lo­gie könn­te in wei­te­ren em­pi­ri­schen Un­ter­su­chun­gen als Grund­la­ge für ei­ne Kon­struk­tion ei­nes qua­li­ta­ti­ven Stich­pro­ben­plans die­nen. Die zu un­ter­su­chen­den Fäl­le wä­ren da­mit zu Be­ginn des For­schungs­pro­zes­ses fest­ge­legt und be­stün­den aus al­len vier Ty­pen.

Stu­fe 3 und 4: Ana­ly­se in­halt­li­cher Sinn­zu­sam­men­hän­ge und Cha­rak­te­ri­sie­rung der ge­bil­de­ten Ty­pen

Nach der Kon­struk­tion des Merk­mals­raums müs­sen die ge­bil­de­ten Ty­pen noch nä­her be­nannt und be­schrie­ben wer­den. Bei der Cha­rak­te­ri­sie­rung der Ty­pen stel­len Kelle und Kluge zwei un­ter­schied­li­che Vor­ge­hens­wei­sen vor; die ich oben als „Bil­dung von Ideal­ty­pen“ und „Orien­tie­rung am Durch­schnitt“ zu­sam­men­ge­fasst ha­be. Um dem Ein­wand, die ge­bil­de­ten Ty­pen hät­ten zu we­nig Be­zug zum Ge­gen­stands­be­reich ent­ge­gen­zu­wir­ken, ha­be ich mich für die zwei­te He­ran­ge­hens­wei­se ent­schie­den. Im Ge­gen­satz zu der Bil­dung ei­nes Ideal­ty­pus wird hier kein neu­er, un­ter den Un­ter­su­chungs­fäl­len gar nicht vor­kom­men­der, Typ ge­bil­det, son­dern der Fall, der die Grup­pe am tref­fends­ten zu re­prä­sen­tie­ren scheint, aus­ge­wählt und be­schrie­ben.

Typologie für Anfeindungen im InternetTypologie des Hasses 2.0, eigene Darstellung, Lina Thee.


Typ A (be­kannt/mo­ne­tär): Kon­kur­renz­un­ter­neh­men

Bei dem ers­ten der dar­ge­stell­ten An­fein­dungs­ty­pen im In­ter­net ist das Op­fer dem_r Tä­ter_in be­kannt und das In­te­res­se für den An­griff ist mo­ne­tär be­dingt. Als Bei­spiel lässt sich die Si­tua­tion von Kon­kur­renz am Markt be­schrei­ben. Ei­n_e Wett­be­wer­ber_in könn­te bei­spiels­wei­se auf Be­wer­tungs­por­ta­len das ei­ge­ne Pro­dukt sehr po­si­tiv re­zen­sie­ren, das der Kon­kur­renz hin­ge­gen gleich­zei­tig schlecht be­wer­ten.

Typ B (be­kannt/nicht-mo­ne­tär): Mob­bing

Als klas­si­sches Mob­bing lässt sich der nächs­te An­griffs­typ be­schrei­ben. Bei den An­grif­fen han­delt es sich um ei­ne dem_r Tä­ter_in be­kann­te Per­son wie bei­spiels­wei­se ei­n_e Mit­schü­ler_in. Ein wei­te­res Bei­spiel ne­ben dem Mob­bing in der Schu­le ist das be­schrie­be­ne Phä­no­men des re­venge porns bei Ex­part­ner_in­nen (siehe hier). Der Grund für die An­fein­dun­gen ist nicht fi­nan­ziel­ler Art.

Typ C (un­be­kannt/mo­ne­tär): Pu­tins Trol­le

Seit 2014 er­schie­nen im­mer wie­der Be­rich­te, über Pu­tins Trol­le. Der rus­si­sche Prä­si­dent Wla­di­mir Pu­tin sol­le dem­nach ei­ne ei­ge­ne „Ar­mee von Trol­len“ be­zah­len, die in sei­nem In­te­res­se Kom­men­tar­spal­ten flu­te­ten, in Dis­kus­sio­nen mit­re­de­ten und auf Im­age­boards ge­wünsch­te In­hal­te und Fo­tos pos­te­ten. Mitt­ler­wei­le dich­ten sich die In­di­zien für die­se Art der An­grif­fe.[23] Es ge­be so­gar Un­ter­neh­men, die sich da­rauf spe­zia­li­siert hät­ten, Trol­le zu ver­mit­teln. Die Op­fer (Op­po­si­tio­nel­le, Po­li­ti­ker_in­nen, In­sti­tu­tio­nen oder auch Län­der) müs­sen den Trol­len nicht be­kannt sein, der An­reiz für die An­grif­fe ist mo­ne­tär oder von Sei­te des_r Ar­beit­ge­bers_in zu­min­dest von ver­gleich­ba­rer Di­men­sion wie dem Stre­ben nach po­li­ti­scher Macht ge­prägt.

Typ D (unbe­kannt/nicht-mo­ne­tär): Trol­le & Ha­ter 2.0

Ab­ge­se­hen von den Fäl­len des re­venge porns, bei de­nen Op­fer und Tä­ter_in sich ge­kannt ha­ben kön­nen, las­sen sich al­le an­de­ren hier be­schrie­be­nen Bei­spiel­fäl­le in die­se Ka­te­go­rie ein­ord­nen. Die Op­fer wa­ren den Tä­ter_in­nen nicht per­sön­lich be­kannt und die An­grif­fe folg­ten kei­nem fi­nan­ziel­len An­reiz. Fäl­le die­ser Ka­te­go­rie sind aus der Beo­bach­ter_in­nen­pers­pek­ti­ve be­son­ders in­te­res­sant, da auf den ers­ten Blick kein er­kenn­ba­rer Nut­zen (wie Geld) für die Trol­le/Ha­ter er­kenn­bar ist und da­durch, dass das Op­fer dem_r Tä­ter_in nicht ein­mal per­sön­lich be­kannt ist, sich hier ins­be­son­de­re Rück­schlüs­se auf tief ver­wur­zel­te Ka­te­go­rien des Has­ses und Me­cha­nis­men von An­fein­dun­gen über das In­ter­net zie­hen las­sen. Bei­spiels­wei­se zie­len An­fein­dun­gen ge­gen „die Flücht­lin­ge“ in so­zia­len Netz­wer­ken nicht auf die kon­kret an­ge­fein­de­te Per­son (auch wenn die­se da­durch di­rekt be- und ge­trof­fen wird) ab. Die hin­ter­grün­di­gen Ka­te­go­rien des Has­ses – in die­sem Fall Ras­sis­mus – treten bei On­line-An­grif­fen des Typs D deut­lich zum Vor­schein.

Ver­än­de­run­gen von An­grif­fen durch die Ver­brei­tung des In­ter­nets

In der fol­gen­den Gra­fik sind die Ver­än­de­run­gen der An­grif­fe durch die Ver­brei­tung des In­ter­nets vi­suell dar­ge­stellt. Zwei der Ty­pen von An­fein­dun­gen im In­ter­net, näm­lich die, bei de­nen das Op­fer dem_r Tä­ter_in be­kannt ist, hat es auch vor der Ver­brei­tung des Web 2.0 schon ge­ge­ben. An­grif­fe ge­gen ein Kon­kur­renz­un­ter­neh­men am Markt sowie Mob­bing sind kei­ne neu­en Vor­komm­nis­se.

Doch durch die hier aus­führ­lich be­schrie­be­nen Haupt­cha­rak­te­ris­ti­ka der di­gi­ta­len An­grif­fe – die Ent­gren­zung und Un­be­re­chen­bar­keit der An­grif­fe, die zur Macht­lo­sig­keit der Op­fer füh­ren – ha­ben sie sich in ih­rer Aus­prä­gung ex­trem ver­stärkt.

Veränderungen der Angriffe durch die Verbreitung des InternetsVeränderungen der Angriffe durch die Verbreitung des Internets, eigene Darstellung, Lina Thee.
Wei­ter ist er­kenn­bar, dass die bei­den Ty­pen, bei de­nen das Op­fer dem_r Tä­ter_in nicht be­kannt ist, in die­ser Aus­prä­gung im Zu­ge der Ver­brei­tung des In­ter­nets als neu­ar­ti­ges Phä­no­men erst ent­stan­den sind.

Ei­nes der be­schrie­ben­en Un­ter­neh­men nennt sich bspw. „Agen­tur zur Ana­ly­se des In­ter­nets“ (Hans (2014): o. S.).

Al­lein die Google­su­che mit dem Be­griff „Pu­tins Troll Armee“ er­gibt über 226.000 Such­er­geb­nis­se (Stand: 08.06.2017).

Ei­ne Ver­kür­zung des Sach­ver­hal­tes lässt sich bei ei­ner Kurz­be­schrei­bung per De­fi­ni­tion nicht um­ge­hen, da da­rin gera­de die Auf­ga­be der Kurz­be­schrei­bung liegt. Ei­ne um­fas­sen­de Be­schrei­bung ist gar nicht mög­lich, le­dig­lich ein As­pekt kann be­tont wer­den, was kri­tisch als Ver­zer­rung aus­ge­legt wer­den könn­te, aber m. E. nicht an­ders mög­lich ist. Re­duk­tion von In­for­ma­tio­nen lässt zwangs­wei­se ein­zel­ne Ele­men­te un­be­schrie­ben.