6 Beispiele für Anfeindungen im Netz gegenüber Frauen


Inhalt: 10 hours wal­king, Zehn-Pfund-Note in GB, # Gamer­gate, Revenge porn/non-con­sen­sual porn, Profx, For­scher_in­nen zum The­ma Ge­schlecht, 4chan und Reddit; (Un-)­Kul­tu­ren des In­ter­nets

„Keine Gemeinschaft definiert sich jemals als die Eine,
ohne sich sofort die Andere entgegenzusetzen.“ [1]
De Beauvoir (1949)


An­fein­dun­gen tref­fen klas­si­scher­wei­se Men­schen, die durch ei­ne (oder bei In­ter­sek­tio­na­li­tät[2]  meh­re­re) Ei­gen­schaf­t(en) von den Aus­gren­zen­den im ers­ten Schritt als Teil der aus­zu­gren­zen­den Grup­pe de­fi­niert wer­den und da­rauf­hin die­se Grup­pe als „an­ders“ und/oder min­der­wer­tig dar­stel­len. Die­se Zu­schrei­bun­gen füh­ren häu­fig zu der An­nah­me der Zu­schrei­bungs­ka­te­go­rie und Iden­ti­fi­ka­tion da­rü­ber.[3]

Die­se Aus- und Ab­gren­zun­gen kön­nen in un­ter­schied­lich­en Kon­tex­ten auf­tre­ten; im­mer dann, wenn je­mand das ei­ge­ne „Ide­al des Nor­ma­len“ ver­letzt sieht. Im In­ter­net wer­den zum Bei­spiel Men­schen, die nicht dem gän­gi­gen Schön­heits­ide­al ent­spre­chen, durch Fo­tos oder Vi­deos, die (teil­wei­se un­wis­sent­lich) on­line von ih­nen ver­brei­tet wer­den, stark ge­mobbt, vor­ge­führt und lä­cher­lich ge­macht. Auch gibt es zahl­rei­che An­grif­fe ge­gen ei­ne „an­de­re“ Her­kunft, ge­gen au­gen­schein­li­che Be­hin­de­run­gen oder – wo­rin der Schwer­punkt die­ser Sei­te liegt – ge­gen „das an­de­re Ge­schlecht“,[4] Frau­en. Das Ge­schlecht ist bis heu­te ei­ne welt­weit ver­brei­te­te und stark iden­ti­täts­stif­ten­de Ka­te­go­rie, die auch on­line häu­fig als Dis­tink­tions­merk­mal wirkt.[5]

Wer sich ge­ne­rell mit An­fein­dun­gen im Netz aus­ein­an­der­setzt, kommt am An­ti­fe­mi­nis­mus nicht vor­bei. Das Netz bie­tet Raum für alle Po­si­tio­nen, auch an­ti­fe­mi­nis­ti­sche bzw. mas­ku­li­nis­ti­sche Strö­mun­gen kön­nen sich durch das In­ter­net ver­stär­ken und wei­ter aus­brei­ten. Mas­ku­li­nist_in­nen mi­schen in Dis­kus­sio­nen mit (ne­ben dem Aus­tausch in Fo­ren[6]  vor al­lem durch Kom­men­ta­re un­ter Zei­tungs­ar­ti­keln) und bil­den mit ex­tre­men Kom­men­ta­ren die Speer­spit­ze von an­ti­fe­mi­nis­ti­schen Po­si­tio­nen, um Dis­kus­sions­ho­ri­zon­te zu er­wei­tern und we­ni­ger ex­tre­me, aber auch an­ti­fe­mi­nis­ti­sche Hal­tun­gen ge­sell­schafts­fä­hig zu ma­chen.[7] Men­schen, die sich öf­fent­lich mit fe­mi­nis­ti­schen The­men aus­ein­an­der­set­zen und/oder da­zu for­schen, wer­den zum Teil öf­fent­lich be­lei­digt, er­hal­ten Ge­walt- und teil­wei­se so­gar To­des­dro­hun­gen. Fäl­le fin­den sich zahl­reich, ich möch­te hier bei­spiel­haft sechs dar­stel­len, um an­schlie­ßend auf die Haupt­cha­rak­te­ris­ti­ka von di­gi­ta­len An­grif­fen ein­zu­ge­hen.

10 hours wal­king

Als Teil des in­ter­na­tio­na­len Netz­werks „Holla­back“ hat Sho­sha­na Ro­berts 2014 ein Vi­deo ver­öf­fent­licht, um auf All­tags­se­xis­mus und Be­läs­ti­gun­gen im öf­fent­li­chen Raum auf­merk­sam zu ma­chen. Da­bei ging sie in schnel­lem Schritt un­auf­fäl­lig ge­klei­det durch Man­hat­tans Stra­ßen und wur­de da­bei von ei­ner Ka­me­ra, die sich in dem Ruck­sack ih­res vor ihr lau­fen­den Freun­des be­fand, ge­filmt. Sie nahm kei­nen Blick­kon­takt auf und sprach mit nie­man­dem, trotz­dem wur­de sie über 100-mal in den 10 Stun­den, in de­nen sie durch Man­hat­tan lief, an­ge­spro­chen; teil­wei­se lie­fen Män­ner mi­nu­ten­lang schwei­gend ne­ben ihr her.

Das Set­ting des Vi­deos wur­de an­schlie­ßend (ne­ben zahl­rei­chen Pa­ro­dien) welt­weit zum Vor­bild für an­de­re Ak­ti­vis­t_in­nen, um auf Dis­kri­mi­nie­run­gen auf­merk­sam zu ma­chen. Nach dem An­schlag auf die fran­zö­si­sche Sa­ti­re­zei­tung Char­lie Heb­do im Ja­nuar 2015 lief ein Mann mit Kip­pa durch Paris’ Straßen. Im Vi­deo ist zu se­hen, dass er be­schimpft, be­droht und so­gar be­spuckt wur­de („So­cial Ex­pe­ri­ment: Watch what hap­pens  when a Jewish man walks around Paris for 10 hours“). Ein wei­te­res Bei­spiel der 10-hours-wal­king-Ak­tio­nen ist ei­ne, wel­che den Blick auf Ho­mo­pho­bie in Russ­land len­ken soll. In dem Vi­deo wird ge­zeigt, dass zwei in der Öf­fent­lich­keit händ­chen­hal­ten­de Män­ner ne­ben ver­ba­len auch kör­per­li­chen An­grif­fen aus­ge­setzt sind („Reac­tion to gays in Rus­sia so­cial ex­pe­ri­ment“).

Der von Street­Ha­rass­ment­Vi­deo ge­pos­te­te Zu­sam­men­schnitt der Ak­tion wur­de bis heu­te über 44 Mil­lio­nen Mal auf­ge­ru­fen und zwischenzeitlich über 150.000-mal kom­men­tiert. Der Groß­teil der Kom­men­ta­re spielt die Si­tua­tion he­run­ter („Hat sie sonst kei­ne Pro­ble­me?“, „Das sind doch net­te Kom­pli­men­te.“). Zu dem Un­ver­ständ­nis wur­de ihr auch Hass ent­ge­gen­ge­bracht. Nur we­ni­ge Stun­den nach der Ver­öf­fent­li­chung des Clips er­hielt sie meh­re­re Mord­dro­hun­gen.[8]

Zehn-Pfund-Note in GB

Auf fünf der sechs bri­ti­schen Geld­schei­ne sind zur­zeit Män­ner ab­ge­bil­det. Der ein­zi­ge, der ei­ne Frau (Eliza­beth Fry) zeigt, ist die Fünf-Pfund-Note – die mit dem ge­rings­ten Wert. Und die­se soll­te nun im Jahr 2016 durch Wins­ton Chur­chill er­setzt wer­den. Dies hät­te zur Fol­ge ge­habt, dass auf kei­ner ein­zi­gen bri­ti­schen Bank­no­te mehr ei­ne Frau ab­ge­bil­det ge­we­sen wä­re.

Caroline Criado-Perez setzt sich für die Sichtbarkeit von Frauen auf britischen Geldscheinen ein. Bildquelle: http://www.radiotimes.com/news/2015-02-25/the-new-suffragettes-mary-beard-caroline-criado-perez-and-laura-bates-on-what-women-want.

Ca­ro­line Criado-Perez be­treibt ei­nen fe­mi­nis­ti­schen Blog[9] und setz­te sich da­für ein, dass (mehr) Frau­en auf den bri­ti­schen Geld­schei­nen zu se­hen sind. Ih­re Kam­pa­gne hat­te Er­folg: ab 2017 ist die Au­to­rin Jane Aus­ten auf den Zehn-Pfund-Schei­nen ver­tre­ten. Criado-Perez wur­de da­rauf­hin auf den so­zia­len Netz­wer­ken, al­len vo­ran Twit­ter, stark at­ta­ckiert. Ne­ben zahl­rei­chen Be­lei­di­gun­gen und (Mord-)Dro­hun­gen wur­de sie Op­fer vom dox­xing, ei­ner ex­tre­men Grenz­über­schrei­tung. Sie gilt als die letz­te Es­ka­la­tions­stu­fe von On­line­at­ta­cken. Beim dox­xing wer­den per­sön­li­che Da­ten wie pri­va­te Fo­tos, Kon­takt- oder Ver­si­cher­ungs­da­ten ei­ner Per­son im Netz für je­de_n zu­gäng­lich ge­macht. So wur­de Cria­do-Pe­rez’ an­geb­liche Wohn­ad­res­se im In­ter­net ver­öf­fent­licht.[10]

# Gamer­gate

Die De­bat­te zum The­ma „Ga­mer­gate“ ent­spann sich vor al­lem um zwei Frau­en: An­ita Sar­kee­sian und Zoe Quinn. Die ame­ri­ka­nisch-ka­na­di­sche Me­dien­kri­ti­ke­rin Anita Sar­kee­sian un­ter­sucht seit 2012 in ih­rem Blog Fe­mi­nist Fre­quen­cy[11] Se­xis­mus in den Me­dien. So be­schreibt sie se­xis­ti­sches Mar­ke­ting un­ter an­de­rem an­hand von Le­go, un­ter­sucht die Os­car­fil­me mit­hil­fe des Bech­del-Tests, und stellt in ei­ner Vi­deo­ko­lum­ne na­mens „Tropes vs. Wo­men in Vi­deo Games“ Se­xis­mus in Com­pu­ter­spie­len dar. Da­bei nahm sie über 300 Spie­le un­ter die Lu­pe und stellt he­raus, dass Frau­en in den Spie­len sel­ten als star­ke Pro­ta­go­nis­tin­nen auf­tre­ten, son­dern nur als „Dam­sel in Dis­tress“, al­so als „Jung­frau in Nö­ten“, als schwa­che, pas­si­ve, häu­fig stark se­xua­li­siert dar­ge­stell­te „Hin­ter­grund­de­ko­ra­tion“ . Frau­en agier­ten nicht selbst, son­dern gel­ten als An­trieb (müs­sen ge­ret­tet wer­den) und Ziel; als Be­loh­nung für vo­ran­ge­stell­te Hel­den­ta­ten.

So ist zum Bei­spiel in dem Jump’n’-Run-Spie­le­klas­si­ker, wel­ches in den 90ern für den Game-Boy ent­wi­ckelt wur­de – „Super Mario Land“ – Ziel des Spiels, die ent­führ­te Prin­zes­sin Dai­sy zu ret­ten.

Ne­ben der star­ken Li­mi­tie­rung von Frau­en­rol­len stel­le Ge­walt ge­gen Frau­en und vor al­lem ge­gen Pros­ti­tu­ier­te ein im­mer wie­der­keh­ren­des Mo­tiv in zahl­rei­chen Spie­len dar. Bei der Spiel­se­rie GTA (Grand Theft Auto), die mit über 150 Mil­lio­nen ver­kauf­ten Ex­em­pla­ren zu den er­folg­reichs­ten Spie­len welt­weit ge­hört, ha­ben Spie­len­de die Mög­lich­keit, Pros­ti­tu­ier­te nach dem Sex zu er­schie­ßen und aus­zu­rau­ben. Die GTA-Spie­le ste­hen seit ih­rem Er­schei­nen auf­grund von ras­sis­ti­schen und ge­walt­ver­herr­li­chen­den Dar­stel­lung­en stark un­ter Kri­tik. In dem fünf­ten Teil der Spiel­se­rie muss der Spie­len­de, um wei­ter zu kom­men, ei­nen Men­schen fol­tern (mit ei­ner Zan­ge, Me­tall­roh­ren, Elek­tro­schock­ern oder durch Wa­ter­boar­ding). Die­se Dar­stel­lung (bzw. das Er­le­ben aus der 3D-Pers­pek­ti­ve des Fol­tern­den) von Fol­ter und die da­mit ein­her­ge­hen­de Ver­harm­lo­sung und Nor­ma­li­sie­rung wur­de u.a. von Am­nes­ty In­ter­na­tional kri­ti­siert. Ex­tre­me Ge­walt­hand­lun­gen wer­den aus der Sicht des Tä­ters ge­spielt und be­lohnt. Zum Bei­spiel ist es in GTA V mög­lich, ei­ne Pros­ti­tu­ier­te nach dem Sex zu über­fah­ren, mit ei­ner Waf­fe auf die am Bo­den lie­gen­de, wim­mern­de Frau zu schie­ßen und sie an­schlie­ßend in Brand zu ste­cken.

Nach­dem Sar­kee­sian 2012 mit ei­ner Kick­star­ter-Kam­pa­gne über 150.000 Dollar für ihr Pro­jekt sam­mel­te, pro­gram­mier­ten Ga­mer das Spiel „beat up Anita Sar­kee­sian“ (Anita Sar­kee­sian zu­sam­men­schla­gen), bei dem es da­rum ging, Sar­kee­sian mög­lichst schnell ins Ge­sicht zu schla­gen, bis sie k.o. geht. Zwei Jah­re spä­ter woll­te Sar­kee­sian an der Uni­ver­si­tät in Utah ei­nen Vor­trag hal­ten. Ein so­ge­nann­ter Marc Lépine droh­te, das „schlimms­te Schul-Mas­sa­ker“ an­zu­rich­ten, das Ame­ri­ka je ge­se­hen ha­be.[12] Fe­mi­nis­tin­nen hät­ten sein Le­ben rui­niert und er wür­de sich rä­chen. Der Nick­name des An­grei­fers be­zieht sich auf den Lé­pine, der 1989 in Mon­treal in ei­ner In­gen­ieurs­schu­le 14 Frau­en er­schoss mit dem Aus­ruf, er has­se Fe­mi­nis­tin­nen. Da in Utah alle Per­so­nen mit ei­ner gül­ti­gen Waf­fen­li­zenz ei­ne Waf­fe bei sich tra­gen dür­fen, wur­de die Si­tua­tion als zu un­si­cher ein­ge­stuft und Sar­kee­sians Auf­tritt ab­ge­sagt.[13]

Die Gamer­gate­de­bat­te mit zu­ge­hö­ri­gem Hash­tag bei Twit­ter (#Gamer­gate) kam 2014 rich­tig ins Rol­len. Seit­dem Zoe Quinn 2013 das Spiel „De­pres­sion Quest“, das ei­nen Ein­blick in das Le­ben von de­pres­si­ven Men­schen ge­ben soll, ver­öf­fent­lich­te, be­gan­nen die An­fein­dun­gen ge­gen sie. Je er­folg­rei­cher das Spiel wur­de, des­to här­ter wur­den auch die An­grif­fe. Ihr Ex-Freund schrieb Blog­ein­trä­ge, die ne­ben pri­va­ten Be­zie­hungs­de­tails die An­schul­di­gung ent­hiel­ten, sie wür­de sich po­si­ti­ve Re­zen­sio­nen für das Spiel durch eine Af­fä­re mit ei­nem Spie­le­jour­na­lis­ten er­schlei­chen. Ob­wohl be­sag­ter Jour­na­list ihr Spiel nicht ein­mal re­zen­sier­te, nah­men die An­fein­dun­gen ge­gen Quinn da­rauf­hin noch wei­ter zu. Wie auch schon die zu­vor be­schrie­be­ne bri­ti­sche Akti­vis­tin Cria­do-Pe­rez wur­de auch Quinn Op­fer vom dox­xing und zu­sätz­lich von re­venge porn. So wur­den von Quinn pri­va­te Da­ten wie ih­re Wohn­adres­se, Kon­to-, Ver­si­cher­ungs-, und Kran­ken­kas­sen­da­ten und Nackt­fo­tos ge­hackt und an­schlie­ßend im Netz ver­öf­fent­licht.

Re­venge porn/non-con­sen­sual porn

In den letz­ten Jah­ren ist im In­ter­net ein Phäno­men auf­ge­taucht und grö­ßer ge­wor­den, dass un­ter dem Be­griff „re­venge porn“ (Rache­por­no) oder un­ter „non-con­sen­sual porn“ (nicht ein­ver­nehm­li­cher Por­no) be­kannt ge­wor­den ist. Da­run­ter ver­steht man die öf­fent­li­che Ver­brei­tung in­ti­mer Fo­tos und/oder Vi­deos im In­ter­net oh­ne die Ein­wil­li­gung der dar­ge­stell­ten Per­son.

In den al­ler­meis­ten Fäl­len han­delt es sich bei den Op­fern die­ser Bloß­stel­lung um Frau­en, bei den Tä­tern teil­weise um die Ex-Part­ner oder Be­kann­te, aber auch um völ­lig Frem­de. Auf den Fo­ren wer­den die Fo­tos und Vi­deos nicht nur ver­brei­tet, son­dern auch von den Usern be- und ab­ge­wer­tet (zum Bei­spiel durch Kom­men­ta­re wie „Was für ein fet­ter Wal“[14]). Un­zäh­li­ge Frau­en wur­den be­reits Op­fer; es soll über 3.000 Web­sei­ten ge­ben, die nur für die Ver­brei­tung die­ser Dar­stel­lun­gen be­trie­ben wer­den.[15]  Ei­ne der be­kann­tes­ten Sei­ten mit über 350.000 Auf­ru­fen täg­lich war die Sei­te von Hun­ter Moore.[16] Er be­trieb die Sei­te und rich­te­te ei­nen Be­reich „Dai­ly Hate“ (täg­li­cher Hass) ein, der die Re­ak­tio­nen der Op­fer zeig­te.

Die­se öf­fent­li­che Bloß­stel­lung der Frau­en kann weit­rei­chen­de Fol­gen für das Pri­vat- und Be­rufs­le­ben nach sich zie­hen. Ist ein Bild ein­mal on­line ge­stellt, ha­ben die Op­fer die Kon­trol­le über das ei­ge­ne Bild ver­lo­ren. Die Ver­bin­dung von re­venge porn und dox­xing, al­so die Wei­ter­ver­brei­tung in­tims­ter Fo­tos/ Vi­deos in Ver­bin­dung mit pri­va­ten Da­ten wie Na­me, Te­le­fon­num­mer, Wohn­adres­se, Ar­beit­ge­ber_in bringt die An­grif­fe in ei­ne neue Di­men­sion, ei­ne mit un­vor­stell­ba­rer Här­te ge­gen die Op­fer.

Ein Fall zwei­er ju­gend­li­cher Star-Foot­ball-Spie­ler (16 und 17 Jah­re) aus der ame­ri­ka­ni­schen Klein­stadt Steu­ben­ville ent­fach­te welt­weit Dis­kus­sio­nen[17] über „Rape Cul­ture“ im all­ge­mein­en und ei­ne ame­ri­ka­ni­sche „Rape Cul­ture“ im spe­ziel­len.


„Sie [die bei­den Foot­ball-Spie­ler, LT] hat­ten im Som­mer 2012 ei­ne be­wusst­lo­se 16-Jäh­ri­ge wie ei­ne leb­lo­se Pup­pe von Par­ty zu Par­ty ge­schleppt, sie mehr­fach ver­ge­wal­tigt und mut­maß­lich auch auf sie uri­niert. Al­le Sta­tio­nen der Nacht ha­ben die Jun­gen selbst – oder ih­re Freun­de mit Fo­tos, Twit­ter­mel­dun­gen und SMS do­ku­men­tiert.“[18]   Fritzsche/Freisberg (2013)  


Es gibt be­reits Fäl­le, die der Öf­fent­lich­keit be­kannt sind, bei de­nen jun­ge Frau­en Sui­zid be­gan­gen, nach­dem sie Op­fer von non-con­sen­sual porn ge­wor­den sind.[19]

Po­ten­tiel­le Op­fer von non-con­sen­sual porn sind nicht nur Ex-Part­ner­in­nen oder Be­kann­te, son­dern es kann auch völ­lig frem­de Per­so­nen tref­fen. Im Jahr 2014 wur­den in vier Wel­len über meh­re­re Mo­na­te hin­weg in­ti­me Pri­vat­fo­tos von Stars im In­ter­net ge­pos­tet und wei­ter­ver­brei­tet. Das Un­ter­neh­men Apple bie­tet mit der icloud ei­ne Mög­lich­keit für sei­ne Kun­d_in­nen an, Da­ten vir­tu­ell zu spei­chern. So­mit kön­nen die Nut­zer_in­nen über­all auf die ei­gen­en Da­ten zu­grei­fen und müs­sen sie nicht zwi­schen ver­schie­den­en Ge­rä­ten syn­chro­ni­sie­ren. Bis­her galt der Her­stel­ler als re­la­tiv si­cher ge­gen­über Vi­ren und Ha­ckern, aber 2014 wur­den zahl­rei­che icloud-Ac­counts durch ei­ne Si­cher­heits­lü­cke der Funk­tion „find my Phone“ ge­hackt. Im Zen­trum der An­grif­fe stan­den jun­ge, be­rühm­te Ame­ri­ka­ner­in­nen wie die Schau­spie­ler­in Jen­ni­fer Law­rence, die Sän­ger­in Ri­han­na oder be­kann­te Mo­dels. Am 31. August 2014 tauch­ten erst­mals auf 4chan tau­sen­de Pri­vat­fo­tos von über 100 Frau­en auf, auch ei­ne min­der­jäh­ri­ge Olym­pia­sie­ger­in war be­trof­fen. Die­ses Ver­ge­hen wur­de von vie­len User_in­nen un­ter dem Mot­to „The Fap­pen­ing“ ge­fei­ert, als Zu­sam­men­setz­ung von „fap“ (eng­lisch um­gangs­sprach­lich für männ­li­che Mas­tur­ba­tion) und „happening“ (Groß­er­eig­nis). Von 4chan aus ver­brei­te­ten sich die Bil­der schnell im In­ter­net. Auf Reddit  gab es ein ei­gens für die Fo­tos ein­ge­rich­te­tes Un­ter­fo­rum mit über 75.000 Abo­nent_in­nen an ei­nem Tag. Die­se (schritt­wei­sen) Ver­öf­fent­li­chun­gen ver­brei­te­ten Un­si­cher­heit. Kei­ne wuss­te, ob auch der ei­ge­ne Ac­count ge­hackt wur­de und sie dem­nächst eine Ver­öf­fent­li­chung be­fürch­ten müs­se.

In ei­nem Fall wur­de ex­pli­zit zur Ein­schüch­ter­ung mit der Ver­öf­fent­li­chung von Nackt­fo­tos ge­droht. Em­ma Wat­son, be­kannt durch ih­re Schau­spiel­rol­le der Her­mi­ne Gran­ger der Harry Pot­ter Ver­fil­mun­gen und mitt­ler­wei­le UN-Bot­schaf­ter­in für Frau­en­rech­te, hielt im Sep­tem­ber letz­ten Jah­res ei­ne viel­be­ach­te­te Re­de vor den Ver­ein­ten Na­tio­nen. Da­rin stell­te sie die He­for­She-Kam­pa­gne vor. Die­se be­in­hal­tet im Kern, dass Ge­schlech­ter­ge­rech­tig­keit alle Men­schen an­ge­he und sich des­we­gen alle Men­schen – un­a­bhän­gig vom Ge­schlecht – für ei­ne ge­schlech­ter­ge­rech­te­re Ge­sell­schaft ein­set­zen soll­ten. Die­se Kam­pa­gne rich­tet sich vor al­lem bei der Durch­set­zung von Ge­schlech­ter­ge­rech­tig­keit an die Män­ner: „Gender­equa­li­ty is your is­sue, too.“.

Nach der Re­de wur­de auf der Home­page Emma­You­Are­Next.com ein Count­down an­ge­zeigt. Es wur­de an­ge­nom­men, dass in vier Ta­gen zum Ab­lauf der Zeit, Nackt­fo­tos der 24-jäh­ri­gen im In­ter­net auf­tau­chen wür­den. Auch ver­such­ten zahl­rei­che User_in­nen, Twit­ter mit dem Hash­tag #RIP­Em­ma­Wat­son zu flu­ten, der ihr Ab­le­ben an­deu­ten soll­te. Nach Ab­lauf der vier Ta­ge tauch­ten kei­ne Fo­tos von Wat­son auf. Im Nach­hi­nein stell­te sich he­raus, dass die Home­page ein Hoax ei­ner PR-Fir­ma mit frag­wür­di­gen Me­tho­den war. In ei­nem of­fen­en Brief for­der­te sie die Zen­sier­ung des In­ter­nets, um die Ver­brei­tung von Nackt­fo­tos zu un­ter­bin­den. Das ma­ka­bre Vor­ge­hen der Be­trei­ber_in­nen hat­te al­ler­dings nicht den ge­wünsch­ten Er­folg, son­dern schaff­te Fein­de auf al­len Sei­ten: zum ei­nen User_in­nen von 4chan, die die ano­ny­me In­ter­net­kul­tur le­ben, zum an­de­ren alle Men­schen, die die Dro­hung als erns­te Ge­fahr ein­stuf­ten – was nach den vor­her­ge­hen­den Ver­öf­fent­lich­un­gen wohl eine Viel­zahl von Men­schen ge­we­sen sein dürf­te.

Profx, For­scher_in­nen zum The­ma Ge­schlecht

Auch Men­schen, die sich wis­sen­schaft­lich mit dem The­ma der Ge­schlech­ter­ver­hält­nis­se be­schäf­ti­gen, sind An­fein­dun­gen aus­ge­setzt. Als Bei­spie­le aus dem wis­sen­schaft­li­chen Be­reich kön­nen Lann Horn­scheidt oder Hein­rich Rosen­brock ge­nannt wer­den. Lann Horn­scheidt hat­te ei­ne Pro­fes­sur für Gen­der Stu­dies an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin in­ne und be­fasst sich un­ter an­de­rem mit gen­der­ge­rech­ter Spra­che. Horn­scheidt ent­wi­ckel­te ei­nen An­satz mit, bei dem die ge­schlechts­an­zei­gen­den Wort­an­hän­ge mit ei­nem „x“ er­setzt wer­den könn­ten. Auf Horn­scheidts Uni­ver­si­täts­home­page stand der Wunsch, Schrei­ben mit „Sehr geehrtx Profx. Lann Horn­scheidt“ ein­zu­lei­ten.  Nach­dem ein Screen­shot die­ser Sei­te bei Face­book ge­teilt wur­de, wur­de Horn­scheidt stark at­ta­ckiert – be­kam Mord­dro­hun­gen, Schlach­tungs­phan­ta­sien und Ver­ge­wal­ti­gungs­ab­sich­ten ge­schickt.  Al­lein ein Be­fas­sen mit fe­mi­nis­ti­schen The­men reicht an­schei­nend aus, um at­ta­ckiert zu wer­den. Im SWR2-Bei­trag über Mas­ku­li­nis­mus wird be­rich­tet:

„Nach­dem der So­zial­psy­cho­lo­ge Hin­rich Ro­sen­brock sei­ne Stu­die über Mas­ku­li­nis­mus ver­öf­fent­licht hat­te, be­kam er im In­ter­net und per E­mail Mord­dro­hun­gen. Alle Ex­per­ten, die in die­ser Sen­dung zu Wort ka­men, wur­den be­reits be­lei­digt. Auch Ilse Lenz, Pro­fes­so­rin für So­zio­lo­gie an der Ruhr-Uni­ver­si­tät Bo­chum. Sie hat die Stu­die von Hin­rich Ro­sen­brock be­treut.“ [20]   Bust-Bartels (2015) 

4chan und Reddit; (Un-)­Kul­tu­ren des In­ter­nets

4chan und Reddit sind ein­fluss­rei­che In­ter­net­fo­ren. Bru­ta­ler und un­kon­trol­lier­ter als Reddit ist die Sei­te 4chan.[21] Das eng­lisch­spra­chi­ge Image­board wur­de 2003 ge­grün­det und ge­hört mitt­ler­wei­le zu den meist­be­such­ten Web­sei­ten welt­weit.[22] Hier wer­den Bil­der in ver­schie­den­en Un­ter­fo­ren ano­nym ver­öf­fent­licht und dis­ku­tiert. Im Ge­gen­satz zu an­de­ren Fo­ren sind die Bil­der hier sehr kurz­le­big, da die Bei­trä­ge der Threads nach Ak­tua­li­tät dar­ge­stellt wer­den und nach kur­zer Zeit ge­löscht wer­den.

Es ist ein Fo­rum, in dem sehr ex­tre­me und ver­stö­ren­de Bil­der ge­pos­tet wer­den. Das be­lieb­tes­te Un­ter­fo­rum mit über 350.000 ano­ny­men Posts am Tag ist „/b/“.[23] Die Stamm­le­ser_in­nen be­zeich­nen sich selbst als „/b/tards“ mit Be­zug auf das eng­li­sche Wort „retard“ (Be­hin­der­te_r).[24] 4chan ist ei­ne ei­ge­ne Sub­kul­tur, es gibt zahl­rei­che Codes und Sprü­che, die für Au­ßen­ste­hen­de nicht zu­gäng­lich sind. In dem Un­ter­fo­rum /b/ wer­den bei­spiels­wei­se di­ver­se neue Wor­te mit der En­dung „fag“ („Schwuch­tel“) ge­bil­det (z.B. für Neue User_in­nen „newfag“ oder für deut­sche Nut­zer_in­nen „german­fag“).[25] Alles, bis auf ex­tre­me Ge­setz­es­ver­stö­ße, ist er­laubt; so wer­den Bil­der zu Hard­core-Por­no­gra­fie oder auch ex­pli­zi­ter Ge­walt­dar­stel­lung (Gore) ge­zeigt. 4chan ist ein Auf­fang­be­cken für Trol­le und die Ge­burts­stät­te von Ano­ny­mous. Die Fo­tos der ge­hack­ten icloud-Ac­counts wur­den hier ver­öf­fent­licht, User_in­nen der Fo­ren 4chan und 9gag ver­brei­te­ten 2011 in­time Bil­der von der ju­gend­li­chen Aman­da Cum­mings und be­lei­dig­ten sie.[26] Nach­dem sich das Mäd­chen nach zahl­rei­chen di­gi­ta­len An­fein­dun­gen das Le­ben nahm, wur­de so­gar der Face­book­ac­count, der zu ih­rem Ge­den­ken ein­ge­rich­tet wur­de, mit Hate­posts ge­flu­tet.


Ei­ne wei­te­re ein­fluss­rei­che Seit­e ist Reddit.[27] Sie ist mit über 175 Mil­lio­nen Nut­zer_in­nen ei­ne der meist­be­such­ten Web­seiten welt­weit und be­zeich­net sich selbst als „Start­sei­te des In­ter­nets“.[28] Der Na­me Reddit ist eine Zu­sam­men­set­zung aus „read“ (le­sen) und „edit“ (be­ar­bei­ten) und be­zieht sich auf „read it“ (habe es ge­le­sen).[29] User_in­nen kön­nen auf die­sem „So­cial-News-Ag­gre­ga­tor“[30] In­hal­te (Tex­te und vor al­lem leicht und schnell kon­su­mier­ba­re Fo­tos, GIFs und Vi­deos) hoch­la­den.

Die Bei­trä­ge wer­den nicht wie bei 4chan nach Ak­tua­li­tät, son­dern nach Be­liebt­heit an­ge­zeigt. Von der Com­mu­ni­ty wer­den die Bei­trä­ge be­wer­tet und bei po­si­ti­ver bes­ser, bei nie­dri­ger Be­wer­tung schlech­ter sicht­bar plat­ziert. Da­mit dient die Sei­te als Auf­merk­sam­keits-Ag­gre­ga­tor.[31] Vie­le The­men, die sich vi­ral durch so­ziale Netz­werke wie Face­book ver­brei­ten, fin­den hier ih­ren An­fang. Die Sei­te Redd­it ist in Sub­red­dits, also in the­ma­ti­sche Un­ter­fo­ren ge­glie­dert, die zum größ­ten Teil von Nut­zer_in­nen selbst mo­de­riert wer­den. Es sol­len über 200.000 Sub­red­dits auf der Sei­te vor­han­den sein.[32] Die The­men de­cken alles Vor­stell­ba­re (und Un­vor­stell­ba­re) ab. Es gibt ein Sub­reddit, in­dem das Ver­schen­ken von Pizzas ko­or­di­niert wird, AMA (Ask me any­thing), bei dem unter an­de­rem Barack Oba­ma schon Re­de und Ant­wort stand, bis hin zu Un­ter­fo­ren, in de­nen „Bil­der ge­tö­te­ter Kin­der[…], heim­lich ge­mach­te Auf­nah­men von Teen­agern in Un­ter­wä­sche oder von Frau­en, die beim Sex ge­würgt oder von Män­nern ge­schla­gen wer­den“[33] ge­zeigt wer­den.

Zeit­wei­se war der Sub­red­dit na­mens „/r/jail­bait“ (Knast­kö­der) der zweit­meist ge­such­te Be­griff auf Reddit. Hier wur­den Bil­der von Teen­agern, bei de­nen die User_in­nen des Fo­rums se­xu­el­le Fan­ta­sien heg­ten, ge­pos­tet. Der Na­me des Un­ter­fo­rums lei­tet sich da­her ab, dass se­xu­el­le Hand­lun­gen mit den dar­ge­stell­ten Ju­gend­li­chen die Tä­ter auf­grund des Al­ters ins Ge­fäng­nis brin­gen könn­te. Reddit be­trieb zahl­rei­che hass- und ge­walt­dar­stel­len­de wei­te­re Un­ter­fo­ren, wie bei­spiels­wei­se

„/r/fatpeoplehate“,
„/r/rapingwomen“,
„/r/philosophyofrape“,
„/r/beatingfatties“,
„/r/SatanicBabyRape“,
„/r/rapingwomenlol“,
„/r/hurtkids“,
„/r/beatingblackpeople“ ,
„/r/BeatingAutistics“ oder
„/r/RapingRetards“.[34]

Unter­fo­ren wie die­se auf den Sei­ten von 4chan oder Reddit stel­len per­fek­te Nähr­bö­den für Ge­walt und Hass dar.

Ur­sprüng­lich be­zeich­net GIF ein Spei­cher­for­mat für Fo­tos. Meist wird heut­zu­ta­ge al­ler­dings die An­ein­an­der­rei­hung meh­re­re in GIF ge­spei­cher­ter Fo­tos ge­meint, die wie ein kurzes Vi­deo wir­ken, das sich in ei­ner End­los­schlei­fe wie­der­holt.

Ano­ny­mous be­schreibt ein Kol­lek­tiv von Netz­akti­vist_in­nen, das sich de­zen­tral, nicht hie­rarch­isch und ano­nym zu­sam­men­fin­det und un­ter dem Na­men Hack­an­grif­fe und po­li­ti­sche De­mon­stra­tio­nen be­treibt.
Die wei­ße, grin­sen­de Guy-Fawkes-Mas­ke, die ei­ni­ge Teil­neh­mer_in­nen bei De­mons­tra­tio­nen als Iden­ti­fi­ka­tions­sym­bol tru­gen, mach­ten Ano­ny­mous auch außer­halb des In­ter­nets für vie­le Men­schen be­kannt. Zur Ver­tie­fung sie­he z.B.: Reiss­mann et al. (2012): We are Ano­ny­mous. Die Mas­ke des Pro­tests. Wer sie sind, was sie an­treibt, was sie wol­len.

Das 15-jäh­ri­ge ame­ri­ka­ni­sche Mäd­chen Au­drie Pott wur­de nach ei­ge­nen An­ga­ben von drei Jungs ver­ge­wal­tigt. Die­se pos­te­ten an­schlie­ßend Fo­tos von den se­xu­el­len Hand­lun­gen, die sie an dem be­wusst­lo­sen Mäd­chen be­gan­gen. Pott wur­de nach der Ver­öf­fent­li­chung der Bil­der an­ge­fein­det, als „Schlam­pe“ be­ti­telt und er­häng­te sich schließ­lich. Bei dem Fall der 17-jäh­ri­gen Ka­na­dier­in Reh­taeh Par­sons war die Sach­lage ähn­lich: Sie gab an, von ei­ner Grup­pe Jungs ver­ge­wal­tigt wor­den zu sein, die­se pos­te­ten Fo­tos der Tat, nach An­fein­dun­gen ge­gen sie er­häng­te sie sich.

Die bri­ti­sche Schrift­stel­ler­in und Blog­ger­in Laur­ie Penny be­schrieb den Vor­fall als den „Abu Ghraib Mo­ment der Rape Cul­ture“ (Fritz­sche/Freis­berg (2013): S. 26.).

Laut Sar­kee­sian tauch­en Frau­en als Spiel­fi­gu­ren so gut wie gar nicht auf. Die Aben­teu­er wer­den fast aus­schließ­lich aus der Sicht ei­nes Man­nes er­lebt. Wenn es mög­lich ist, ei­ne Frau als Ava­tar zu wäh­len, wird die­ser As­pekt in der Wer­bung für das Spiel nicht ge­nannt. Män­ner wer­den als se­xu­el­le Sub­jek­te, Frau­en als se­xu­el­le Ob­jek­te dar­ge­stellt. Ih­re Rol­le be­schränkt sich laut Sar­kee­sian meist da­rauf, die Stim­mung zu schaf­fen als NPC (non-play­able Cha­rac­ter) oder als NPSO (non-play­able Sex­ob­jects).

Der Bech­del-Test ba­siert auf dem 1985 ver­öf­fent­lich­ten ame­ri­ka­ni­schen Co­mic „Dykes to watch out for“ von der Zeich­ner­in Ali­son Bech­del. An­hand des in den letz­ten Jah­ren po­pu­lär ge­wor­den­en Tests kann die Un­ter­re­prä­sen­tanz und Ste­reo­ty­pi­sie­rung von weib­li­chen Fi­gu­ren in den Me­dien ver­an­schau­licht wer­den. Er be­in­hal­tet drei Fra­gen:
1. Kom­men in dem Film min­des­tens zwei weib­li­che Cha­rak­te­re vor (und tra­gen die­se ei­nen vol­len Na­men)?
2. Re­den die Frau­en mit­ein­an­der?
3. Re­den sie über et­was an­de­res als über Män­ner?

Als Aus­wahl­kri­te­rium für die Fäl­le dien­te ne­ben der Po­pu­la­ri­tät der An­grif­fe auch, dass ver­schie­de­ne Fa­cet­ten von An­grif­fen ge­zeigt wer­den soll­te. Un­ter den An­griffs­op­fern be­fin­den sich bei den Bei­spie­len po­li­ti­sche Ak­ti­vist_in­nen, Pro­mi­nen­te, Wis­sen­schaft­ler_in­nen und Pri­vat­per­so­nen.

In „Der wei­ße Mann – ein An­ti-Ma­ni­fest“ be­schreibt Lu­ca Di Bla­si, dass be­reits das sich-selbst-als-Grup­pe-de­fi­nie­ren ein Sicht­bar­ma­chen von un­glei­chen Rech­ten sein kann. So de­fi­nie­ren sich be­nach­tei­lig­te Per­so­nen oft über ein be­nach­tei­li­gend wir­ken­des Grup­pen­merk­mal. Die der Norm ent­sprech­en­den und da­mit „das Nor­ma­le“ de­fi­nie­ren­de (er be­nennt WMH, „wei­ße män­nli­che He­ten“) tun das nicht. Er schreibt: „Da­her hän­gen Un­mar­kiert­sein und Ge­schont­sein zu­sam­men. Nicht-dis­kri­mi­nier­theit be­deu­tet zu­al­ler­erst: Nicht ein­mal be­mer­ken, wie we­nig man dis­kri­mi­niert ist, und das be­deu­tet auch: im Selbst­ver­ständ­nis gera­de kei­ne Grup­pe bil­den.“ (S. 18).

Schon 1949 kon­tras­tier­te Si­mone de Beau­voir, dass Frau­en nicht als au­to­no­me We­sen, son­dern im­mer in Re­la­tion zu Män­nern, eben als das an­de­re Ge­schlecht wahr­ge­nom­men wer­den wür­den: „Er ist das Sub­jekt, er ist das Ab­so­lu­te: sie ist das An­de­re.“(S. 12). Die Fo­kus­sie­rung auf „das Männ­li­che“ bei der Be­schrei­bung des Nor­ma­len zieht sich auch heu­te noch durch vie­le Be­rei­che. Bei­spiels­wei­se wur­den im Ge­sund­heits­be­reich Test­rei­hen zu neu­en Me­di­ka­men­ten einst nur mit männ­li­chen Pro­ban­den durch­ge­führt, was da­zu führ­te, dass Symp­to­me, die Frau­en bei z.B. Herz­in­fark­ten zei­gen, bis heu­te oft nicht rich­tig ein­ge­ord­net wer­den (vgl. z.B. Gester­kamp (2011): S. 20).