Antifeminismus und seine vielen Gesichter
So wenig wie es den Feminismus gibt, kann von dem Antifeminismus die Rede sein. Es gibt unterschiedliche Strömungen. Antifeminismus hat viele Gesichter; Schwerpunkte, Aktionsformen und Ansichten der beteiligten Gruppen unterscheiden sich voneinander.
Auf eine neue Strömung in diesem Bereich – die selbsternannten „Maskulisten“ – möchte ich hier eingehen, wobei ich auch auf die Rolle von Frauen im neuen Antifeminismus zu sprechen komme. Anschließend werde ich zentrale Thesen, Strategien und Ziele des aktuellen Maskulismus zusammentragen und beschreiben. Diesem Punkt folgend werde ich das Potential des Maskulismus für Anknüpfungen in verschiedene politische Lager und deren indirekten Einfluss bei der Einrichtung von Institutionen für Männerrechte darstellen.
Maskulismus als Spielart des Maskulinismus
Auf der Seite der Antifeminist_innen herrschte lange Zeit der Begriff des Maskulinismus vor. Anhänger_innen des Maskulinismus sehen die Herrschaft von Männern über Frauen als angeboren und naturgegeben an. Zweigeschlechtlichkeit und das Patriarchat werden propagiert.[1] Ihrer Ansicht nach seien Männer und Frauen von Natur aus verschieden, was zu unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortungen führe. Maskulinistische Strömungen wollen das Patriarchat weiter verfestigen und bestehen seitdem es emanzipatorische feministische Kräfte gibt, die sich dagegen auflehnen.[2] Durch wissenschaftliche Erkenntnisse, die nahelegen, dass Geschlecht eher als performatives Phänomen[3] denn als zwei klar abgrenzbare Kategorien verstanden werden sollte, und durch die Erweiterung von Frauenrechten, geriet die maskulinistische Lesart der Geschlechterverhältnisse immer mehr in Verruf.[4]
Seit einigen Jahren formieren sich jedoch erneut Akteur_innen, diesmal unter der Selbstbezeichnung „Maskulismus“. Er verfolgt zwar dasselbe Ziel wie der Maskulinismus, weist aber eine völlig andere Strategie auf. Der Inhalt (festhalten an der Idee der Zweigeschlechtlichkeit, Angriffe gegen Gleichstellungspolitik, Beibehaltung der männlichen Privilegien) ist der gleiche, aber die Fassade stellt sich anders dar. Andreas Kemper beschreibt den Maskulismus wie folgt:
„Der Maskulismus als Vereinigungsideologie ist in seiner Selbstbeschreibung zunächst damit befasst, eine vermeintliche Vorherrschaft des Weiblichen („Femokratie“) zurückzudrängen. Wenn es diese weibliche Vorherrschaft bzw. feministische Hegemonie gar nicht gibt, ist der Maskulismus als eine Spielart des Maskulinismus [Hervorhebung LT] anzusehen. In den Konflikten um die Benennung Maskulismus/Maskulinismus spiegeln sich also bereits die Sichtweisen, ob unsere Gesellschaft weiblich/feministisch dominiert ist oder eben nicht.“[5] Kemper (2012)
Dieser selbsternannte Maskulismus, der eine neue antifeministische Strömung darstellt und durch das Internet neue Strategiemöglichkeiten an die Hand bekommen hat, soll hier untersucht werden. Während Anhänger_innen des Maskulinismus davon ausgehen, dass Männer über Frauen herrschen sollten, meinen Anhänger_innen des Maskulismus, Männer seien mittlerweile das benachteiligte Geschlecht und bräuchten gesetzliche Änderungen, um ihre Position zu verbessern.
Vordergründig teilen sie somit die Forderungen des Feminismus nach Geschlechtergerechtigkeit; bedienen sich der gleichen Argumentationsmuster unter umgekehrten Vorzeichen. Maskulist_innen verstehen sich selbst als emanzipatorische Bewegung. Doch sehen sie sich in einer „Femokratie“ und fordern eine weitergehende Unterstützung von Jungen und Männern, um die vermeintlich bestehende Femokratie zu beenden. Das zentrale Problem sei, dass eine Dezentrierung der Männer mit einer Benachteiligung verwechselt werde.[6]
„Wenn ich in einer privilegierten Position bin und einen Teil meiner Privilegien abgeben muss, dann führt das dazu, dass ich mich extrem benachteiligt fühle.“[7] Rosenbrock (2015)
Eine bloße Teilnahme von Frauen an Entscheidungsprozessen, Entscheidungspositionen oder der Arbeitswelt werde mit einer Herrschaft verwechselt.[8] Die zuvor beschriebene Krux, weißer, heterosexueller Männer, sich als privilegierte Gruppe nicht für die Ausweitung ihrer Privilegien zusammenschließen zu können, wird durch die Bildung eines Opfermythos umgangen. Denn: Sich als privilegierte Gruppe zusammenzuschließen und für die eigenen Rechte zu kämpfen, genießt gesamtgesellschaftlich wenig Rückhalt und Verständnis. Sich jedoch als benachteiligte Gruppe gegen Benachteiligungen zu wehren, wird viel eher als legitim wahrgenommen.
Von daher machen sich maskulistische Strömungen die Forderungen von Feminist_innen zu eigen und deuten sie um, um ihre eigenen Positionen unter einem anderen Deckmantel durchzusetzen und Rückhalt in der Mehrheitsgesellschaft zu generieren. Maskulist_innen verstehen sich so als eine Männerrechtsbewegung.
Diese Selbstverortung führt, wie ebenfalls der Titel Maskulisten, in die Irre. Der Begriff Maskulismus ist bewusst an den des Feminismus angelehnt. Doch er nimmt keine komplementär ergänzende, sondern eine zerstörende Haltung dazu ein. Der Begriff der Männerrechtsbewegung betont die Durchsetzung der Rechte der Männer, was einen sanften Anstrich macht. Die Forderungen der sog. Männerrechtler bei der Umsetzung richten sich nämlich gegen Frauen(-rechte). Es wird eine Beibehaltung und Ausweitung von Männerrechten gefordert, wobei Geschlechterpolitik nicht als ganzheitlicher Ansatz gedacht wird, bei dem alle gewinnen können, sondern als Nullsummenspiel dargestellt wird.
Frauen im Maskulismus
Auch wenn es paradox wirken mag, dass sich Frauen in der maskulistischen Szene einbringen und sie sprachlich durch die Verwendung des generischen Maskulinums nicht sichtbar gemacht werden, sind sie doch vorhanden.
Viele der aktiven Frauen kommen in der Rolle als sog. „Zweitfrauen“ mit dem Maskulismus in Berührung und beginnen mit dem neuen Partner, sich dort zu engagieren. Durch Unterhalts- und Sorgerechtsstreits des Partners mit seiner ehemaligen Partnerin sehen sie das Bild des benachteiligten Mannes bestätigt.[9]
Laut Robert Claus wird die Beteiligung von Frauen von den Männern in maskulistischen Kreisen eher skeptisch betrachtet. Dabei erfüllten sie äußerst unterschiedliche und sogleich wichtige Funktionen.[10] Die von Frauen ausgefüllten Rollen reichten von der antifeministischen Politikerin über die rechtsaffine Forumsadministratorin bis hin zur genügsamen Hausfrau und zur emotionsgeladenen Veranstaltungsmoderatorin. Keine dieser Funktionen sollte laut Claus in ihrer Bedeutung unterschätzt werden, brächten sie doch sowohl technisches und politisches Know-how wie auch soziale und emotionale Ressourcen in die „Bewegung“ ein, was immens zu deren Stabilisierung beitragen würde. Zugleich werde durch das publike Auftreten von maskulistischen Frauen eine verharmlosende Wirkung des aggressiven Frauenhasses des Maskulismus in der öffentlichen Wahrnehmung bezweckt.
Inhaltliche Forderungen und Denkmuster, Strategien und Ziele des Maskulismus
Um eine Übersicht zum aktuellen Maskulismus und dessen zentralen inhaltlichen Forderungen und Denkmustern, Strategien und Zielen zu geben, habe ich folgende Tabelle herausgearbeitet und werde auf drei Punkte näher eingehen, die meines Erachtens die drei zentralen Punkte der Aufzählung darstellen.
Was? Thesen | Wie? Strategien | Wofür? Ziele |
1. „Gender Mainstreaming ist Gleichmacherei!“[11] | Umdeutung von Begriffen[12] | Setzen eigener Begriffe und Dominieren der Diskussion, Abwerten errungener Institutionen |
2. „Vom Mensch zur MenschIn...“[13] | Angriffe als Humor verkleiden, nicht ernst nehmen | Lächerlich machen von feministischen Ansätzen |
3. „Das wird man ja nochmal sagen dürfen!“ |
Aufbegehren gegen vermeintliche „political correctness“;[14] Darstellung der eigenen Rolle als rebellisch |
Einfangen der „Wutbürger“ |
4. „Genderstudies sind keine Wissenschaft, sondern Ideologie!“[15] |
Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit | Anzweifeln der Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die dem eigenen Weltbild widersprechen |
5. „Männer und Frauen sind nun mal verschieden!“ | Biologistische Argumentation[16] | Rollenzuschreibungen und Privilegien werden als natürlich und unveränderlich dargestellt und sollen weiterhin erhalten bleiben. |
6. „Männer werden |
Opfermythos | Legitimierung der eigenen Forderungen, Delegitimierung bestehender Gleichstellungspolitik |
7. „Feministinnen/ Frauen/ ‚Feminazis‘/‚lila Pudel‘ sind daran schuld!“[18] |
Feindbildkonstruktion | Erschaffung einer gemeinsamen Identität und Stärkung von Solidarität untereinander |
8. „Die Benachteiligung der Männer wird in der Öffentlichkeit und von den Medien nicht (genug) wahrgenommen!“[19] |
Fluten von Kommentarspalten | Agenda Setting, Verbreitung eigener Positionen, Beeinflussung der Berichterstattung in den (Leit-) Medien |
9. „Die Fotze bringen wir um!“ | Hate Speech | Zerstörung des Feindes, Mundtotmachen; Mobilisierung Dritter zu Gewalthandlungen |
Beschreibung der drei zentralen Thesen der Tabelle:
6. These: „Männer werden benachteiligt!“
Strategie: Bildung eines Opfermythos
Ziel: Legitimation der eigenen Forderungen, Delegitimierung bestehender Gleichstellungspolitik
„Frauen sind nicht das unterdrückte Geschlecht.
Frauen sind das subventionierte Geschlecht.“[20]
Maskulist_innen meinen, die Benachteiligung von Frauen sei längst Vergangenheit und mittlerweile seien Männer und Jungen das benachteiligte Geschlecht.[21] Es herrsche eine „Femokratie“, worin Frauen zentrale Instanzen innehätten und bestimmen und herrschen würden. Die Auswirkungen dieser vermeintlichen Benachteiligungen werden konkret oft in folgenden drei Bereichen genannt: Sorgerecht, Wehrdienst und Bildung/Arbeit.
Durch Sorgerechtsstreits geraten viele Personen in maskulistische Kreise.[22] Viele Männer fühlen sich benachteiligt und vor allem unverheiratete Väter beklagen, bei den Auseinandersetzungen um Kinder das Nachsehen zu haben. Die Gesetzgebung stammt aus dem Kaiserreich mit dem Ziel, den Wohlstand der Männer der Oberschicht zu schützen. Uneheliche Kinder galten als nicht verwandt zum Vater und konnten z.B. nicht erben. [23] Dass Väter gegenüber ihren unehelichen Kindern weniger Rechte – und damit verbunden auch weniger Pflichten – innehatten, war im Sinne der damaligen Männer.[24] Der Wunsch nach einer aktiven Rolle der Väter bei der Erziehung ihrer Kinder (unabhängig vom Status ledig/verheiratet), ist in dem Ausmaß ein relativ neues Phänomen und aufgrund der sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse unterliegt das Familienrecht fortlaufend Erneuerungen. So wirkte sich beispielsweise der Umstand, dass viele Ehen geschieden und neue Zweitfamilien gegründet werden, darauf aus, dass geschiedene Ehepartner_innen weniger Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem_r Ex-Partner_in haben. Ebenso kann die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Februar 2017 als Paradigmenwechsel im Unterhaltsrecht gesehen werden. Der BGH entschied, dass das Wechselmodell, bei dem Kinder getrennter Eltern bei beiden Elternteilen (größtenteils) zu gleichen Teilen leben, auch gegen den Wunsch eines Elternteils durchgesetzt werden kann.
Als ein weiteres Argument für die Benachteiligung der Männer wurde angeführt, dass die Wehrpflicht ausschließlich für Männer galt. Um zu sehen, woher dieser Umstand kommt, muss auch hier der historische Kontext betrachtet werden. Früher galt es als Privileg, dem Dienst an der Waffe folgen zu dürfen. Ein „waffenfähiger Bürger“ erhielt einen Status mit zusammenhängenden Bürgerrechten wie das Wahlrecht, wovon Frauen bis 1919 in Deutschland ausgeschlossen waren.[25] 2011 wurde in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt, weshalb dieses Argument nicht mehr als Beispiel zu aktuellen Benachteiligungen genannt werden kann. Was allerdings diskutiert wird, ist der gegenteilige Fall: die Aufnahme von Frauen beim Wehrdienst. Vor allem die unterschiedlichen Aufnahmebedingungen nach Geschlecht werden kritisiert.
Im Bildungsbereich ist bei den Maskulist_innen von Jungen als Bildungsverlierern die Rede.[26] Diese Ansichten verfangen leicht und werden in der breiteren Öffentlichkeit aufgegriffen. Eine Stellungnahme des Deutschen Industrie- und Handelskammertages warnte vor einem „überwiegend männlichen Proletariat“.[27] Jungen würden in der Schule benachteiligt, seien Bildungsverlierer, Mädchen hätten bessere Noten und würden Jungen im Bildungsbereich abhängen. Diese These lässt sich auf den zweiten Blick nicht halten. Schaut man sich die Schüler_innengruppen an, ist zu erkennen, dass Jungen nicht per se schlechtere Noten bekommen und dadurch als Bildungsverlierer zu betiteln sind. Mittelschichtjungen haben in Mathe und den Naturwissenschaften – wie jeher – sogar bessere Noten als Mädchen. Nur Jungen, die einen geringeren sozialen Status haben, weisen schlechtere Noten auf.[28] Die zentrale Diskriminierungskategorie ist die der sozialen Schicht und nicht die des Geschlechts. Nicht Jungen, sondern Angehörige eines niedrigen sozialen Status werden benachteiligt und können schwer aufsteigen.
Im Bereich Arbeit ist zu erkennen, dass schlecht qualifizierte Männer mehr Schwierigkeiten als früher haben, einen Job zu finden. Das liegt zum einen daran, dass Frauen vermehrt arbeiten (auch wenn dies oft nur auf Teilzeit- oder Minijobbasis geschieht) und zum anderen daran, dass die „klassischen Männerberufe“ mehr und mehr maschinell ersetzbar werden.[30] Trotz dieses Umstandes sind Männer insgesamt auf dem Arbeitsmarkt allerdings weiterhin privilegiert.[29]
Die Strategie der Bildung eines Opfermythos ist vorteilhaft, um die eigenen Forderungen zu legitimieren und gleichzeitig die bestehende Gleichstellungsarbeit zu kritisieren. Unter Legitimationsdruck geraten durch die Argumentation nicht männerrechtliche Forderungen, sondern derzeitige Antidiskriminierungsprojekte und Institutionen zur Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter.[31]
8. These: „Die Benachteiligung der Männer wird in der Öffentlichkeit und von den Medien nicht (genug) wahrgenommen!“
Strategie: Fluten von Kommentarspalten
Ziel: Agenda Setting, Verbreitung eigener Positionen, Beeinflussung der Berichterstattung in den (Leit-)Medien
Von Maskulist_innen wird häufig der Vorwurf laut, ihre Bedürfnisse würden in den Medien nicht wiedergegeben und erhielten nicht die erforderliche Aufmerksamkeit. Um ihre eigenen Positionen zu verbreiten und Themen für Diskussionen zu setzen (Agenda Setting), fluten sie gezielt die Kommentarspalten.[32] Das massive Auftreten in den Kommentarbereichen soll ein maskulistisches Stimmungsbild der Gesellschaft zeigen, welches in diesem Maße nicht vorhanden ist.
Rechte (z.B. Mitläufer_innen bei PEGIDA-Aufmärschen) wie auch maskulistische Kreise, die sich teilweise überschneiden, diffamieren die (Leit-)Medien mit der historisch belasteten Bezeichnung „Lügenpresse“. Dabei hat ihre Strategie die Wirkung nicht verfehlt. Obwohl die maskulistische Szene klein ist, haben sie es durch diese Strategie der Online-Guerilla geschafft, die Berichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen und bestehenden Unwohlgefühlen gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen und emanzipatorischen Bestrebungen ein Sprachrohr zu bieten.
Thomas Gesterkamp und Nina Marie Bust-Bartels beschreiben, dass es immer wieder eine Bühne für Maskulist_innen gab. In rechten Blättern wie in der Jungen Freiheit (Titel 2008 „Freiheit statt Feminismus“[33]), aber auch in Leitmedien wie „DIE ZEIT“, „DER SPIEGEL“ oder dem „Focus“ hätten sich die Themen wiedergefunden.[34] So titelte der Focus 2008: „Das geschwächte Geschlecht. Emanzipation, nächste Stufe: Gegen die Benachteiligung und Abwertung von Männern formiert sich eine neue Bürgerrechtsbewegung“[35] oder auch „im Zweifel gegen den Mann“(2009)[36] und „Benachteiligt? Wer denn?“(2009).[37] Die FAZ titelte schon 2003 „Männerdämmerung. Wer uns denkt: Frauen übernehmen die Bewusstseinsindustrie“.[38] Eine Serie in der ZEIT mit dem Titel „Not am Mann“(2014) erschien und der SPIEGEL schrieb: „Was vom Mann noch übrig bleibt“.[39] Davon, dass die Themen der Maskulist_innen in der medialen Berichterstattung nicht vorkommen würden, kann keine Rede sein.
9. These: „Die Fotze bringen wir um!“
Strategie: Hate Speech[40]
Ziel: Zerstörung des Feindes, Mundtotmachen, Mobilisierung Dritter zu Gewalthandlungen
„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.“ [41]
Ein weiteres zentrales – vielleicht auch das zentrale – Mittel der Maskulist_innen ist die Verwendung von Hate Speech. Der Begriff Hate Speech ist aus dem Englischen entnommen. Bisher hat sich im Deutschen kein Äquivalent (wie etwa Hassrede) durchgesetzt. Rosenbrock beschreibt, dass Hate Speech in Abgrenzung zur Propaganda nicht versuche, Zielgruppen zu vereinnahmen, sondern die angegriffene Person gezielt abwertet. Es gehe nicht um Dialog, sondern um Ausschluss und Verletzung.[42]
Menschen, die dem Feindbild entsprechen, werden massiv beleidigt und bedroht. Gegenmeinungen werden in Diskussionen nicht anerkannt und es wird sich nicht auf sachlicher Ebene argumentativ mit den Themen und Menschen auseinandergesetzt, sondern das Ziel ist die Zerstörung der definierten Feinde. Unangenehme Teilnehmer_innen sollen gebrochen werden und sich aus den Diskussionen zurückziehen. Dieses Verhalten wird auch Silencing-Strategie[43] genannt.
Ein weiterer Aspekt, den Hate Speech bewirken soll, ist die Mobilisierung Dritter zu Gewalthandlungen.[44] Durch die Angriffe auf sprachlicher Ebene werden Grenzen überschritten und – wenn nicht massiv gezeigt wird, dass diese Grenzüberschreitungen nicht akzeptiert werden – allmählich erweitert. Menschen werden entmenschlicht dargestellt und die Angreifer_innen schaukeln sich wie ein Mob im Blutrausch hoch und stacheln sich gegenseitig an. Auch den gelegten Feuern in Flüchtlingsunterkünften gingen zahlreiche Hasstiraden im Internet voraus.
Anknüpfungspunkte des Maskulismus
Der Maskulismus bietet Anknüpfungspunkte in unterschiedliche politische Lager und dient als Vereinigungsideologie verschiedener politischer Spektren.[45] Am augenscheinlichsten ist die inhaltliche Nähe zum rechten Gedankengut. Da Rassismus und Sexismus nach ähnlichen Mechanismen funktionieren,[46] überraschen parallele Argumentationsmuster von Antifeminist_innen und rechten Gruppen nicht. Die rechte Szene sei ein Bestandteil des Maskulismus, aber nicht konstituierend. Somit unterstützen fast alle Mitglieder des rechten Lagers die Denkweisen von Maskulist_innen, aber nicht alle Maskulist_innen stehen politisch rechts. Auch ins konservative Lager gibt es Anschlusspunkte. Die biologistische Argumentation mit dem Festhalten an der Zweigeschlechtlichkeit und damit vermeintlich verbundenen Rechten und Pflichten passt zu einer strukturkonservativen Lesart. Maskulist_innen fordern zwar weitere politische Akte für die Ausweitung ihrer Rechte, lehnen aber (paradoxerweise) gleichzeitig die Unterstützung von Frauen durch politisches Handeln als Einmischung des Staates in Privatangelegenheiten ab. Diese Haltung bietet Anknüpfungspunkte in das liberale, anti-etatistische Lager.[47]
Auswirkungen auf gesellschaftspolitische Institutionen
Zwar ist der harte Kern der Szene klein, es gibt zahlenmäßig wenige Anhänger_innen, aber der Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen hat sehr gut funktioniert. Sie sind eine gut vernetzte und das Internet effektiv nutzende Gruppe, der es gelang, eigene Themen und politische Schwerpunkte zu setzen. Die Berichterstattung in den Medien griff ihre Themen auf und diskutierte vor allem mit und nicht über Maskulist_innen. In Anbetracht der Größe der Szene besteht eine starke Reichweite.
Diese kleine Bewegung hat eine Fokusverschiebung bewirkt: In der öffentlichen Wahrnehmung wird über benachteiligte Männer und Jungen diskutiert. Forderungen, mehr Männer in Kitas und (Grund-)schulen zu bringen, dominieren das Feld geschlechterthematischer Diskussionen. Es bilden sich Institutionen für Männerpolitik heraus, wie zum Beispiel als Gegenstück zum Deutschen Frauenrat das „Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter“.[48] Die derzeitige Diskussionsrichtung, die von Maskulist_innen befeuert wird, trägt zur Legitimierung von Institutionen bei, die Benachteiligungen von Jungen und Männern untersuchen, wodurch traditionelle Mädchen- und Frauenarbeit zugunsten „moderner“ Geschlechterpolitik gekürzt wird. In Österreich wurde unter der schwarz-braunen Regierung eine „männerpolitische Grundsatzabteilung“ im Sozialministerium geschaffen, in Deutschland unter Kristina Schröder das Referat 408 „Gleichstellungspolitik für Männer und Jungen“ im Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend eingerichtet.
Die beschriebenen Interventionen von Maskulinist_innen bewirken somit eine indirekte Beeinflussung der politischen Entscheidungsträger_innen. Dadurch, dass neue Institutionen für Jungen und Männerpolitik entstehen, werden Gelder, die geschlechterpolitisch ausgegeben werden, umverteilt.
Durch diese Fokusverschiebung geraten andere Themen in den Hintergrund. In gesellschaftlichen Machtpositionen, beim Besitz und der Aushandlung von Geld, Zeit und Einfluss, sind Frauen stark unterrepräsentiert und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Frauen sind nur zu acht Prozent in den Vorständen der großen deutschen Unternehmen vertreten, besetzen nur eine von fünf Professor_innenstellen und verdienen im Schnitt 22 % weniger als Männer.[49] Alleinerziehende sind zu 90 % Frauen und stark armutsgefährdet.[50] Die durchschnittliche Rente von Frauen der alten Bundesländer liegt lediglich bei 495 Euro im Monat.[51] Diese Themen sind zur Zeit weitgehend vom gesellschaftlichen Radar verschwunden, werden nicht breit diskutiert und durch maskulistische Argumentationen teilweise sogar bestritten.
Durch ihre Strategie der Online-Guerilla, dem Fluten von Kommentarspalten, haben Maskulinist_innen erfolgreiches Agenda Setting betrieben. Ihre Themen werden von der Presse aufgegriffen und mittlerweile gesamtgesellschaftlich diskutiert. So, wie die derzeitige Diskussion geführt wird, wird etablierten Institutionen für die Durchsetzung einer Gleichstellung der Geschlechter die Grundlage entzogen.
Dies hat entweder zur Folge, dass die Mittel aufgrund der vermeintlichen Benachteiligung der Jungen und Männer umverteilt werden hin zu Jungen- und Männerarbeit oder Mittel ganz gestrichen werden, da eine Benachteiligung von Frauen nicht mehr vorhanden sei. Problematisch dabei ist, dass die Diskussionen nicht zu Mehrausgaben im sozialen Bereich für Projekte zur Unterstützung von Jungen und Männer führten, sondern „Männer“- und „Frauenpolitik“ gegeneinander ausgespielt werden. Geschlechterpolitik wird nicht als ganzheitlicher Ansatz gedacht wird, bei dem alle gewinnen können, sondern als Nullsummenspiel dargestellt.