AUFSTEHEN gegen Hass im Netz
feministische Website gegen Hate Speech
Das zentrale Thema der Seite sind ganz übergreifend: Anfeindungen im Internet. Denn die Mechanismen von Rassismus, Sexismus und anderen Diskriminierungsformen überschneiden sich in vielen Punkten. Menschen, die durch die Zuschreibung von Diskriminierungskategorien, wie einer augenscheinlichen Behinderung, einer „anderen“ Herkunft, oder dem „anderen“ Geschlecht,[1] im Offline-Leben Diskriminierungen ausgesetzt sind, schlägt im Netz häufig purer Hass entgegen.
Hierbei lässt sich besonders gut beobachten, welche definierten Gruppen eine Gesellschaft ausschließt. Wenn ein Mensch nur aufgrund seines Aussehens, das nicht komplett der Norm entspricht, als Meme lächerlich gemacht wird,[2] zeigt sich, wie wenig Respekt für Abweichungen von der – künstlich geformten und selten erreichten – Norm vorhanden ist.
Der Schwerpunkt der Webseite liegt auf sexistischen Übergriffen. Von sexistischen Angriffen können dabei alle Geschlechter betroffen sein, wenn sie nicht geschlechtskonformes Verhalten zeigen. Frauen, die mit einer politischen Meinung öffentlich präsent sind, Männer, die in klassisch Frauen zugeschriebenen Bereichen aktiv sind und beispielsweise über Fashion und Lifestyle bloggen, oder Menschen, die sich nicht den bipolaren Geschlechtskategorien zuordnen, haben ein hohes Risiko, von sexistischen Angriffen betroffen zu werden. Misogynie (Hass gegen Frauen) und expliziter Antifeminismus (der sich auch gegen die Queere Community stellt) sind oft zu beobachtende Phänomene im Internet. Bei einer breit angelegten Untersuchung des Kommentierverhaltens der eigenen Leser_innen hat der Guardian 2016 herausgefunden, dass acht der zehn meistgehassten Autor_innen weiblich waren, die beiden Männer waren People of color.[3]
Although the majority of our regular opinion writers are white men, we found that those who experienced the highest levels of abuse and dismissive trolling were not. The 10 regular writers who got the most abuse were eight women (four white and four non-white) and two black men. Two of the women and one of the men were gay. And of the eight women in the “top 10”, one was Muslim and one Jewish.
And the 10 regular writers who got the least abuse? All men. Gardiner et al. (2016)
Gesellschaftlich vorhandene Diskriminierungskategorien zeigen sich in digitalen Anfeindungen
Diskriminierungskategorien, die in der Gesellschaft vorhanden sind, können durch digitale Anfeindungen sichtbar gemacht werden. So werden Menschen häufig nicht aufgrund von Handlungen oder Aussagen angegriffen, sondern, weil sie einer bestimmten (sozial konstruierten) Gruppe angehören.
„Natürlich richtet sich Cybermobbing auch gegen Männer. Fachleute sehen aber einen Unterschied: Männer würden meist als Person, also wegen ihrer Meinungen oder Taten attackiert und nicht als Gruppe, also weil [Hervorhebung im Original] sie Männer seien. Auch werde ihnen seltener Gewalt angedroht.“[4] Borchardt (2015)
Ablehnungen von Angehörigen einer Diskriminierungskategorie lassen sich online leichter ausleben und etablieren. Durch Hate Speech werden die Angegriffenen nicht als Individuen mit vielen Facetten, sondern lediglich über das ausschließende Merkmal mit zugehörigen stereotypen Eigenschaften wahrgenommen. Falsche Informationen und Gerüchte lassen sich im Internet leicht verbreiten. Auch eine Entmenschlichung, das zentrale Element der Hate Speech, ist ohne ein in-die-Augen-schauen, ohne wirkliches Sehen des Gegenübers, ohne direkte Begegnung mit der Person leichter möglich.
Die Kultivierung von Hass
Neben psychischen Verletzungen, legen digitale Drohungen auch den Grundstein für körperliche Angriffe: Aus Frauenhass richtete im Mai 2014 der 22-jährige Kalifornier Elliot Roger ein Blutbad an, tötete sechs Menschen und anschließend sich selbst. Er kündigte seine Tat in einem Video an und verfasste ein Manifest, in dem sein Motiv deutlich wurde. Roger sah sich als Teil der sogenannten „Incels“. Incel steht für „involuntary celibacy" (unfreiwillige Enthaltsamkeit). Die sich dieser Gruppe zugehörig Fühlenden eint Einsamkeit und Hass gegen Frauen. Takis Würger beschrieb im SPIEGEL das Phänomen folgendermaßen:
„Viele Männer aus der Gemeinschaft der Incels finden schlicht keinen Partner [sic!] und suchen Hilfe im Internet. Für sie sind die Foren vielleicht die Rettung. Für andere Männer bieten die Foren die Gelegenheit, ihren Hass in einer Gruppe zu kultivieren. Vor 20 Jahren wären solche Menschen mit ihren bösen Gedanken allein in ihrer Höhle geblieben.“ [5] Würger (2014)
Austesten und Erweitern von Grenzen
Bei dieser Kultivierung von Hass im Netz setzt diese Seite an. Anfeindungen im Internet gehen Gewalttaten voraus und begleiten sie fortwährend. Ein Austesten (und Erweitern) von Grenzen, ein Vernetzen untereinander, ein gegenseitiges Anheizen und Vergewissern, was man noch sagen dürfe, ist online problemlos möglich.
Die Frage nach dem Umgang mit Hass im Netz
Anfänglich wurden vor dem Problem der Anfeindungen im Internet die Augen verschlossen. Als weit verbreitete Strategie für den Umgang mit solchen Anfeindungen galt das Ignorieren: „Don‘t feed the troll“.
„Lässt man sich auf die Trolle ein, werden diese Individuen nur noch mehr angespornt. Don’t feed the trolls [Hervorhebung im Original] ist deshalb die erste Regel im Umgang mit ihnen: Die Trolle nicht füttern, sondern ignorieren oder gleich aussperren.“ [6] Reissmann et al. (2012)
Doch durch das Ignorieren und Wegsehen als alleinigen Ansatz konnten sich extreme Milieus erst ungesehen und ungestört kultivieren. Gestärkt durch jahrelanges In-Ruhe-gelassen-Werden sind die Hate Speech-Redner_innen selbstbewusst geworden.
Der HoGeSa-Aufmarsch 2014 in Köln, die Bildung und Verbreitung von PEGIDA und der AfD kam für viele Bürger_innen überraschend. Radikale Minderheiten gehen auf die Straßen, treten laut und aggressiv auf. Nachdem viele zuerst versteinert waren, wird nun zunehmend diskutiert, wie mit Anfeindungen im Internet umzugehen ist.
Zentrale Fragen, die hier thematisiert werden, sind:
- Wie sehen sexistische Angriffe im Internet aus?
- Wie können die Mechanismen digitaler Angriffe charakterisiert werden? Was macht die neue Dimension der digitalen Angriffe im Vergleich zu der Zeit vor dem Internet aus?
- Wie kann eine mögliche Typologisierung für Anfeindungen im Internet beschrieben werden?
- Was macht den neuen Antifeminismus aus, der sich über das Internet vernetzt? Was sind die Thesen, Strategien und Ziele?
- Wie wird den Anfeindungen im Internet auf unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft derzeit entgegengetreten? Und was können Ansatzpunkte für ein weiteres Vorgehen sein?